Das Banner des Roten Adlers
und gelangte in einen gepflasterten Hof, wo
er kurz anhalten musste, um sich zu orientieren. Jemand rief etwas, dann war
Fußgetrappel zu hören. Jim lief zum anderen Ende des Hofes, fand einen geeigneten
Tritt und hievte sich über die Mauer. Auf der anderen Seite befand sich der Hof vor
den Stallungen.
Es wurde Zeit, dass ihm das Glück wieder lachte, dachte er, und das tat es in Gestalt
einer wunderschönen braunen Stute, die gesattelt für einen Dragoneroberst bereitstand, der in einer Ecke einem Stallburschen die Leviten las. Jim war kein
erfahrener Reiter, wusste aber, wie man ein Pferd zum Gehen und zum Stehen
brachte und wie man sich oben hielt. Er schwang sich in den Sattel, fand die
Steigbügel
und
griff
sich
die Zügel;
und
noch
ehe der Oberst
protestieren,
geschweige denn seinen Säbel ziehen konnte, war Jim aus dem Hof geritten und
sprengte dem Haupttor entgegen. Die Prozession hatte sich schon seit einiger Zeit in
Bewegung gesetzt und mit ihr die Menge der Schaulustigen. Das Gelände um das
Schloss war daher weitgehend
musste
Jim
die
Zügel
anziehen
menschenleer.
Es dauerte aber nicht lange, da
und
langsamer
reiten,
denn
je
näher
er
dem
Stadtkern kam, desto mehr Menschen füllten die Straßen. Er wechselte in den Trab
und dann in den Schritt, bis die Menschen so dicht standen, dass es klüger war, vom
Pferd zu steigen. Er überließ es einem Mann mit mächtigem Schnurrbart und in
ungarischem
Gehrock
und
versprach
ihm
zwanzig
Kronen,
wenn
er bis
zum
Nachmittag auf das Pferd aufpassen würde. Im Stillen dachte er, dass der Mann für
ein solches Pferd fünfzig Kronen bekommen könnte und daher binnen einer halben
Stunde verschwunden sein würde. Viel Glück.
Weiter ging es zu Fuß, vorbei an bummelnden Bürgern, um Ecken herum und
Treppen hinauf, mit dem einen Ziel, den Dom rechtzeitig zu erreichen, um zu verhindern, dass ... ja, was eigentlich? Genau wusste er das nicht, ahnte es aber, und daher
war es nur noch dringender, rechtzeitig dort zu sein.
Als die Prozession den Stephanusplatz vor dem Dom erreichte, staunte Becky über
die Menge der Zuschauer und den sogleich anhebenden allgemeinen Jubel, vor allem aber über die Schönheit des Platzes an diesem strahlenden Sommermorgen. Die
schönen alten Bürgerhäuser mit ihren barocken Dächern und verzierten Fenstern
leuchteten
gelb,
golden
und
cremefarben
im
hellen
Sonnenlicht
und
von
den
schmiedeeisernen Baikonen wurden Fahnen geschwenkt. Auf der anderen Seite des
Platzes ragte der dunkle gotische Bau des Doms in den blauen Himmel empor. Durch
eine Lücke zwischen den Häusern sah Becky den grauen Fels von Eschtenburg auf
der anderen Seite des Flusses. Noch war er ohne Fahne.
Die Orgel spielte, während sie ihre Plätze in der Kirche einnahmen. Die Klänge einer
Fanfare waren so laut, dass sich die am Westwerk aufgesteckte Fahne bauschte. Alle
erhoben sich, als der gebrechliche alte Erzbischof das königliche Paar durch den
Mittelgang hereinführte.
Der König trug die Uniform eines Oberst der Eschten-burger Garde, dem zackigsten
Regiment der raskawisehen Armee: schneeweiß mit goldenen Epauletten, die Brust
mit einer Reihe Orden dekoriert und an der Hüfte einen geschwungenen Säbel mit
einer scharlachroten Quaste. Selbstverständlich betrat er barhäuptig die Kirche, und
während die Dreiergruppe an Becky vorüberging, konnte sie die Anspannung in
seinem Gesicht erkennen.
Adelaide neben ihm trug ein cremefarbenes Seidenkleid. Sie hatte ihre Hand auf
seinen Arm gelegt, doch war nicht zu erkennen, wer hier wem Halt gab. Der Chor
setzte ein
und
die
Messe begann.
Eine
Viertelstunde nach
elf
fand
dann
die
eigentliche Krönung statt. Die Zeremonie war denkbar schlicht: Nach einem Gebet
tat Rudolf den feierlichen Schwur, den Roten Adler zu tragen, und dann salbte ihn
der Erzbischof mit heiligem Öl. Als Rudolf und Adelaide so nebeneinander auf dem
roten Kissen knieten, sahen sie aus wie Kinder beim Spielen, und Becky spürte nicht
nur wegen ihrer patriotischen Gefühle einen Knoten im Hals. Es folgte ein Gebet für
langes Leben und Fruchtbarkeit, dann wandte sich der Erzbischof dem Pagen zu, der
die ganze Zeit daneben gestanden hatte, und nahm die Krone vom Samtkissen, auf
dem sie ruhte. Die Krone war ein schlichter Reif aus dunklem Eisen, der mit einem
einzelnen großen gelben Topas geschmückt war. Doch sie war aus dem Schwert
geschmiedet worden, mit dem Walter von Eschten den Fels verteidigt und König
Ottokar II. in der Schlacht bei Wendelstein
Weitere Kostenlose Bücher