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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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geschlagen hatte.
    Der Topas stammte aus der Mitgift der Erszebet Cse-hak, der ungarischen Gräfin, die
mit Walters Sohn Karl die Ehe eingegangen war. Die Krone von Raskawien hatte
deshalb einen deutlich höheren Wert als so mancher goldene Tand.
    Rudolf stand mit dem Gesicht zur Versammlung; der Erzbischof hielt die Krone hoch
und setzte sie sanft auf den Kopf des Königs. Durch das Kirchenschiff ging ein
Seufzer, dann beugte der alte Erzbischof das Knie und küsste dem Regenten die
Hand. Becky meinte, seine Kniegelenke knacken zu hören.
    Auch Adelaide küsste die königlichen Hände, dann erscholl ein Fanfarenstoß und die
Orgel
brauste
auf.
Mit
dem
Erzbischof
an
der
Spitze
schritten
sie durch
den
Mittelgang zum Westportal, wo die Adlerfahne hing. Während ihres Ganges zogen
sie alle Blicke auf sich. Menschenmengen durften Könige ungeniert anstarren.
Das Westportal stand weit offen. Der Erzbischof wartete, bis sich alle um sie
gruppiert hatten, was mit viel höflichem Geschiebe vollführt wurde. Becky fing Adelaides Blick auf, und die Königin schien erleichtert, ihre Dolmetscherin zu sehen,
denn ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, ehe es erneut maskenhaft erstarrte.
Schließlich war die Zeremonie zu Ende. Von dem Platz zu ihren Füßen schauten
viertausend
oder mehr
Augenpaare zu
ihnen
herauf.
Soldaten
und
Polizisten
standen bereit, um den Weg zur alten Brücke frei zu machen.
    Dann wandte sich der Erzbischof der Adlerfahne zu. Das Tuch war zweieinhalb
Meter lang und ein Meter achtzig breit und bestand aus goldgelber Seide, auf die ein
scharlachroter Adler gestickt war. Am Saum hingen goldene Quasten. Die Fahne war
an
einer
drei
Meter sechzig
langen
Stange
befestigt.
Fahnentuch
und
Stange
zusammen waren sehr schwer, doch ein König musste sie tragen können.
    Der, Erzbischof sprach ein Gebet und besprengte die Fahne mit Weihwasser. Rudolf
ergriff die Stange und hob sie aus der Halterung, dann machte er die wenigen
Schritte hinaus bis zu den Stufen des Doms. Bei seinem Erscheinen ging ein tosender
Jubel durch die Menge. Hüte flogen in die Luft und die Zuschauer drängten zur Seite,
als Soldaten und Polizisten den Weg für den König bahnten. Die Fanfarenbläser
stellten sich auf und schmetterten die Adler-Fanfare. Adelaide trat, etwas Abstand
haltend, links neben den König, und Becky schien es, als erhebe sich zusätzlicher
Jubel. In diesem Augenblick hatten die Raskawier ihre Zweifel in Bezug auf König
Rudolf abgelegt. Ob Schöngeist, Dandy oder weltfremder Träumer, er war jetzt der
Adlerträger und dafür liebten sie ihn. In dieser Geste erneuerte sich die ganze
Nation. Becky fühlte Stolz, aber auch Kummer wegen ihres Vaters. Sie hätte sich
gewünscht, dass er das noch hätte erleben können. Doch auch Freude erfüllte sie
wie die vielen anderen Bürger Raskawiens: Das war ihr König, ihre Fahne, ihre Freiheit, ihre Nation. Sie wären alle für ihren König gestorben.
    Doch ihr König starb für sie. Als Rudolf die erste Stufe nahm, zerriss ein entsetzlich
lauter Schuss die Hochrufe und Fanfarenklänge. Rudolf brach zusammen. Der Jubel
und
die Musik erstarben und machten einer
unheimlichen Stille Platz, als die
majestätische Fahne immer tiefer sackte, als ob der Adler selbst getroffen worden
wäre. Alle auf dem Platz Versammelten, mehr als viertausend Menschen, hielten
gleichzeitig den Atem an.
Die Erste, die sich rührte, war Adelaide, und ihre erste Geste galt ihrem Mann. Sie
streckte die Arme nach Rudolf aus, auf dessen weißer Uniformbrust eine rote Rose
zu erblühen schien. Mit letzter Kraft hielt Rudolf die Fahne hoch und flüsterte ihr zu:
»Der Adler ...« Ein Dutzend Hände um ihn herum flogen in die Höhe, erstarrten aber;
jeder Mann, jede Frau und jedes Kind auf dem Platz streckte die Hände aus, doch
alle verharrten so, denn die Fahne war fest in den Händen der Königin Adelaide, sie
hielt sie hoch.
    Der Erzbischof kniete neben dem sterbenden König. Die Menge auf dem Platz
machte eine Gasse und bedeutete Adelaide mit Gesten und Blicken weiterzugehen.
Mit Mühe brachte sie die Fahnenstange in die Senkrechte und setzte sie dann auf
ihrer Hüfte ab, während sie mit der Hand einen bequemeren Halt suchte. Und dann,
nach einem letzten leidenschaftlichen Blick auf Rudolf, den die Menschen auf dem
Platz sich einprägten, schritt sie die Stufen hinab.
    Der Graf war zu ihrer Rechten, Becky zu ihrer Linken. Aus den Augenwinkeln
beobachtete Becky, wie Karl von Gaisberg und ein halbes Dutzend

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