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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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hege
keinen Groll gegen Prinz Rudolf.«
     
Miss Bevan oder Prinzessin Adelaide hob skeptisch die Augenbraue, nickte dann
aber und setzte sich schließlich. Sie zupfte missmutig an einem Faden ihres Kleides.
    Dann schaute sie Becky hilflos an. »Was soll ich bloß machen?«, fragte sie. Becky
ließ ratlos die Luft aus den Wangen. »Tja ... zuerst einmal solltest du lesen und
schreiben lernen. Du kannst doch nicht weiterhin nur ein Kreuz machen, statt zu
unterschreiben.«
»Das finde ich auch.« Sie richtete sich auf. »Dann mal los. Womit fangen wir an?«
    Becky schaute sich um. Bücher gab es keine im Zimmer, aber das Ludo-Spiel lag
offen vor ihnen. »Du kannst damit beginnen, Spielregeln lesen zu lernen. Du weißt,
worum es bei den Spielen geht. Da hast du schon mal einen Anhaltspunkt. Und
Farbennamen kannst du bei der Gelegenheit auch gleich lernen, das geht leicht. Das
hier heißt zum Beispiel ROT ...« Sie brachten eine halbe Stunde damit zu, dann
konnte Adelaide START, ZIEL und die Namen der vier Grundfarben lesen.
    »Wir müssen auch mit dem Schreibenlernen beginnen«, machte ihr Becky klar. »Ich
besorge heute Nachmittag ein Schönschreibheft, darin kannst du dir die eleganteste
Handschrift aussuchen und danach lernen. Du wirst überhaupt alles Mögliche lernen
müssen. Du brauchst mehr als einen Lehrer, der dir lesen und schreiben beibringt.
Du brauchst -« Den Satz konnte sie nicht zu Ende bringen, denn in dem Augenblick
ging
die Bombe hoch.
Der Knall
war
ohrenbetäubend.
Unter
der Druckwelle
bauschten sich die Vorhänge, das Fenster schlug klirrend zu und die Scheiben
zerbarsten. Die beiden jungen Frauen duckten sich unwillkürlich, Becky griff rasch
nach den Papieren auf dem Tisch und Adelaide ging, die Augen weit aufgerissen,
neben dem Sofa in Deckung. Nachdem der erste Schreck sich gelegt hatte, sprang
Becky auf, um zu schauen, was passiert war. Adelaide stellte sich zu ihr ans Fenster.
Becky
hatte Sekunden
vor
der
Explosion
das
Geräusch
einer draußen
vorbeifahrenden Kutsche gehört, ein Pferd hatte gewiehert und den Kopf hin und her
geworfen. Nachdem eine dicke Staubwolke über die trockene Straße und die Lorbeerbäume fortgezogen war, sah sie die völlig demolierte Kutsche. Das Pferd lag
zuckend in den Sielen und der Kutscher reglos daneben. Auf dem Kiesweg zum Haus
stand wie vom Donner gerührt Herr Strauss, Prinz Rudolf von Raskawien.
    Für einen Augenblick rührte sich niemand. Dann schaute der Prinz als Erstes zum
Fenster und suchte Adelaides Blick. Jetzt kehrte in der Straße wieder Leben ein:
Türen öffneten sich; Dienstboten erschienen an den Pforten; ein Kindermädchen mit
zwei
Schutzbefohlenen
reckte neugierig
den
Hals;
ein
beleibter
Herr
mit
Spazierstock kam den Weg herauf; ein Metzgerjunge, den Korb mit Fleischwaren unter
dem
Arm, warf
einen
plötzlich
der
Detektiv
fachmännischen
Blick
auf
das
Pferd;
und
dann
tauchte
Jim
Taylor
neben
dem
Prinzen
auf
und
sprach
ganz
unaufgeregt mit ihm. »Das ist der Detektiv«, sagte Becky. Ihre Stimme bebte vor
    Aufregung.
Adelaide blieb stumm. Sie beobachtete alles mit gespannter Aufmerksamkeit. Jim
Taylor
blickte auf
die Straße und
beorderte mit
einem
Fingerschnippen
den
Metzgerjungen herbei. Der Junge stellte den Korb auf den Boden und nahm die
Mütze ab. »Hol einen Polizisten«, hörte man Jim Taylor sagen.
    »So
schnell
du
kannst.
Wir
brauchen
auch
einen
Arzt, der
einen
Totenschein
ausstellt. Wenn du alles in weniger als zehn Minuten schaffst, kriegst du eine halbe
Krone von mir. Also spute dich.«
»Den habe ich schon einmal gesehen«, sagte Adelaide leise. »Da bin ich mir sicher.«
    Jim Taylor zeigte sich auf der Höhe der Situation. Er wies den beleibten Herrn an, bei
der demolierten
Kutsche Wache zu
stehen,
riss
einen
Vorhang
neben
der
zerbrochenen Kutschentür herunter und breitete ihn sanft über den Toten aus. Er
zog ein Klappmesser und tat etwas mit dem Pferd, worauf dieses reglos zur Seite
fiel. Dann wischte er die Klinge sauber und erhob sich. Sein Blick traf Beckys Blick
und wanderte dann zu Adelaide; danach schloss er sich dem Prinzen an und ging mit
ihm ins Haus.
    »Du bist ja ganz blass«, stellte Adelaide fest. »Das ist ja wohl kein Wunder«, sagte
Becky. »Steht dir nicht. Du, wenn Rudi - der Prinz - hereinkommt, tust du so, als
wüsstest du nicht, wer er ist.« Becky wollte widersprechen, doch da klopfte es schon
und der Prinz selbst trat ein. »Meine Liebe ...«, begann er.
Adelaide flog ihm besorgt entgegen, hielt aber

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