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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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rußgeschwärzte
Fenster - manche mit zerbrochenen Scheiben
- gewährten einen Blick auf die
verschneite Stadt. Die drei Flüchtlinge schauten auf die eisige Pracht und hielten
dann den Atem an, als sie die Reihe stummer Betrachter bemerkten, die an der
Wand hinter ihnen standen.
    Jim hatte schon den Finger am Abzug, als er an dem matten Schimmer erkannte,
dass es sich nur um leere Rüstungen handelte. Aber wo gab es einen Ausgang? Er
hatte den Faden in diesem fürchterlichen Labyrinth verloren.
»Du, Jim?«, flüsterte Adelaide. »Ja?«
     
»Erinnerst
du
dich
noch
an
die Knochenkohlefabrik? Als
wir
vor
Mrs
Holland
flohen?«
     
»Das werde ich nie vergessen.«
     
»Ich auch nicht. Ich dachte nur - hier ist es wenigstens sauber.«
     
»Wenn man uns erwischt, kommt es auf das Gleiche hinaus. Schauen wir doch mal,
wohin die Tür dort drüben geht ...«
    Hinter einem hohen Torbogen führte eine breite, flache Steintreppe abwärts. Sie
folgten ihr schweigend, drei gespenstische Gestalten im schwachen Schein der
Laterne, die Jim so weit wie möglich verdeckte. »Halt - was ist das denn?«, fragte er
und hielt an einem Fenster.
    Unter ihnen lag ein Garten oder was davon noch übrig war: Kahle Bäume und
Sträucher, die ihre schneebela-denen Äste emporhielten, eine Bronzefigur, eine
vereiste Brunnenschale und eine zerbrochene Pergola ergaben ein melancholisches
Bild der Verlassenheit. Wichtiger war jedoch, dass sich das Fenster nur drei Meter
über dem Boden befand und hinter der Gartenmauer bereits die Straße lag, wo Licht
hinter den Fensterläden alter Häuser brannte.
    »Halt mal den Revolver«, sagte er zu Adelaide und holte den hölzernen Dolch aus
seinem Strumpf hervor. Nach wenigen Sekunden knarrte der rostige Fenstergriff.
Die hereinkommende Luft war wohltuend frisch. »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte
Becky. »Doch nicht etwa springen?«
»Das sind höchstens drei Meter und unten liegt außerdem Schnee. Zuerst du, dann
die Königin und ich komme zuletzt. Beim Landen Knie gebeugt halten und dann
abrollen. Dann verstaucht ihr euch nicht die Knöchel. Wenn ihr wieder auf den
Beinen seid, werfe ich euch die Tasche zu. Los, denkt nicht lange nach, springt.« Von
Rock und Mantel behindert, hatte Becky Mühe, durch den geöffneten Fensterflügel
zu kommen, fiel aber dann rascher, als sie erwartet hatte. Sie landete mit einem
dumpfen Aufprall, der sie aufschreien ließ, und fiel mit dem Gesicht in den Schnee.
Als sie wieder zu sich kam, stand sie auf und fand sich unverletzt. Jim warf die
Tasche zu ihr hinunter und half dann Adelaide zum Fenster hinaus. Mit ihr ging er
rücksichtsvoller um, so schien es Becky.
    Adelaide landete leicht, fast wie ein Vogel, rollte sich ab, wie es Jim empfohlen
hatte, und stand sofort auf. Jim machte sich am Fenstergriff zu schaffen. Becky
konnte nicht sehen, was er tat, doch nachdem er gesprungen war, suchte er etwas
im Schnee und hob dann ein Knäuel dunkler Wolle auf, die oben irgendwo befestigt
war. Er wickelte den Faden wieder auf und zog vorsichtig daran, bis das Fenster wie
von selbst zuging. Er riss den Faden ab und steckte das Knäuel in seine Hosentasche.
»Unsere Spuren im Schnee können wir nicht verwischen«, erläuterte er, »aber wir
müssen die Wache auch nicht durch ein offenes Fenster auf uns aufmerksam
machen. Kommt mit zu der Tür dort drüben - und immer schön im Schatten der
Mauer bleiben.« Er nahm die Laterne und führte Becky und Adelaide am Rand des
Gartens entlang.
    »Bleibt hinter den Büschen hier«, wies er sie an. »Kommt erst hervor, wenn die Tür
offen ist.« Ein Blick auf das Türschloss belehrte ihn sofort, dass hier alle Mühe
vergebens wäre: Es war völlig verrostet. Er nahm wieder den Dolch, bohrte ihn unter
die Eisenkrampe und hob kräftig an. Tatsächlich brach das kümmerliche Ding sofort
entzwei, schon war die Tür offen und dahinter lag die offene Straße.
Adelaide und Becky stapften durch den Schnee zu ihm hinüber. Alle drei schlüpften
durch die Tür und liefen die schmale Straße hinunter.
     
»Weiß jemand, wo wir hier sind?«, fragte Jim.
     
»Ich glaube, wenn wir der Straße folgen, kommen wir zum Fluss ...«, vermutete
Becky.
    »Da ist der Felsen!«, rief Adelaide.
Sie hielten an und schauten. Zwischen hohen Gebäuden ragte in einiger Entfernung
der schneebedeckte Felsen von Eschtenburg in den dunklen Himmel.
»Ausgezeichnet, daran können wir uns orientieren«, sagte Jim. »Wir gehen erst mal
zum Cafe Florestan. Schnell, und

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