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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Schlüsseln
geklimpert und ein schwacher
das
geöffnete
Fenster herein.
Jim
beobachtete aus
    schmalen Augen, wie die Wache mit einem Tablett hereinkam. Draußen im Gang
stand eine Laterne. Umso besser: Auch diesmal nur ein Wachsoldat. Endlich mal ein
bisschen Glück ...
    Mit einem wachsamen Auge auf Jim bückte sich der Soldat, um das Tablett mit dem
Essen auf den Boden zu stellen. Er war schlau genug, ihm nicht den Rücken zuzukehren, aber zu alt für rasche Bewegungen, und als Jim plötzlich von der Matratze
rollte und mit dem Stein in der Hand aufsprang, konnte er dem Schlag nicht ausweichen.
    Jim hatte sich überwinden müssen: Eigentlich mochte er Gegner nicht auf den Kopf
schlagen. Doch der Gedanke an Adelaide verlieh ihm die nötige Skrupellosig-keit und
so
hieb
er den
Stein
seitlich
an
den
Schädel
des
Mannes, worauf
der
sofort
zusammensackte. Mit einem energischen Griff riss Jim den Schlüsselbund vom
Gürtel des Soldaten. Dann nahm er eine Scheibe Brot vom Tablett, steckte sie sich
für später in die Tasche und glitt nach draußen.
    Der Schlüssel für die Zellentür war leicht herauszufinden: Es war der größte und
älteste. Jim sperrte den Soldaten sicherheitshalber ein, nahm die Laterne und eilte
auf leisen Sohlen den Gang hinunter, den Stein fest in der Hand.
An der Ecke hielt er kurz an, horchte und spähte. Am Treppenabsatz stand eine Tür
offen, aus der Licht fiel. Er schlich sich heran und horchte.
     
Ab und zu raschelte Papier, sonst war nichts zu hören. Durch den Spalt sah er den
Rücken eines Mannes, der am Tisch saß und Zeitung las.
    Behutsam stellte er die Laterne ab, steckte den Totschläger mit der Schlaufe nach
außen in die Tasche und holte den Dolch aus seinem Strumpf. Lautlos wie eine Katze
trat er durch die offene Tür in den kleinen Wachraum. Ein Ofen verbreitete wohlige
Wärme und eine Kanne Kaffee simmerte auf der Herdplatte vor sich hin. Ehe der
Mann irgendetwas gehört hatte, drückte ihm Jim mit einer Hand den Mund zu und
legte ihm die Spitze des Dolchs an die Kehle. »Einen Mucks und ich schneide dir die
Kehle durch«, flüsterte er.
Der Mann erstarrte. Er war ein kräftiger, rotgesichtiger Bursche mit dem Geruch des
eingefleischten Zigarrenrauchers.
     
»Jetzt bück dich und zieh deine Stiefel aus. Aber sachte. Mein Dolch bleibt an deiner
Kehle, also keine falsche Bewegung.«
     
Der Mann tat, wie ihm geheißen.
    »Jetzt die Strümpfe«, befahl Jim und verlieh seinen Worten mit der Dolchspitze
Nachdruck. Als die Strümpfe ausgezogen waren, kamen die Füße zum Vorschein,
sehr zur Verlegenheit des Wachsoldaten, denn er hatte sie schon lange nicht mehr
gewaschen. Jim hatte deswegen kein Mitleid mit ihm. Und dann machte er eine
wertvolle Entdeckung: An einem Nagel hinter der Tür hing ein Revolver in einem
Lederholster.
»Steck dir einen Strumpf in den Mund. Ja, ganz hinein. Mach schon.«
    Widerwillig gehorchte der Mann. Jim tat einen Sprung und holte sich den Revolver,
ehe der Mann reagieren konnte. Die Waffe war geladen.
»Gut«, sagte er. »Jetzt nimm den Strumpf aus dem Mund, damit du sprechen
kannst. Wenn du Anstalten machst zu schreien, jage ich dir eine Kugel in die Brust,
bevor du pieps gesagt hast. Jetzt rede: Wo sind wir hier?«
»In der Burg«, antwortete der Mann verängstigt. »Wo ist die Königin?«
     
Der Wachsoldat öffnete den Mund und machte ihn gleich wieder zu, blickte aber
unwillkürlich nach oben.
     
»Aha, oben«, sagte Jim. »Wo genau?«
     
Der Mann machte den Mund nicht wieder auf.
     
»Steck den Strumpf wieder rein«, befahl Jim.
     
Seine wilde Entschlossenheit musste wohl aus seinen Augen funkeln, denn der
Wachsoldat gehorchte sofort.
     
Dann trat er den Mann einmal kräftig vors Schienbein. Ein undeutliches Geräusch
wie ein ersticktes Stöhnen war zu hören.
     
»Hat das wehgetan? Das nächste Mal breche ich dir die Finger und das tut richtig
weh. Nimm den Strumpf raus und sag mir, wo sie ist.«
    Mit Tränen in den Augen zog der Mann den feuchten Strumpf aus dem Mund und
murmelte: »Die Treppe am Ende des Gangs rauf bis in den vierten Stock. Die frühere
Wohnung des Burgvogts. Hinter der großen Flügeltür.«
»Und wie kommt man auf dem kürzesten Weg nach draußen?«
    »Am anderen Ende desselben Stockwerks - die Tür zur Dienstbotentreppe. Und dann
durch die Küche. Bitte -« »Steck ihn wieder rein. Beeil dich, sonst zwinge ich dich
noch, ihn zu schlucken.«
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht schob der Wachsoldat den Strumpf wieder in

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