Das Banner des Roten Adlers
setzt eure Kapuzen auf.«
Fünfzehn
Minuten
später
standen
Becky
und
Adelaide
im
Schatten
eines
Hauseingangs. Jim bückte sich und nahm eine Hand voll Schnee, um sich das Gesicht
zu säubern. Als er halbwegs von Ruß und Schmutz befreit war, öffnete er die Tür
zum Cafe Florestan und betrat die warme, von Bierdunst geschwängerte Gaststube.
Drinnen war es voll und unter den mit ernsten Gesichtern zusammensitzenden
Gästen herrschte Hochspannung: Es wurde heftig diskutiert, aber nicht gelacht. Der
eine oder andere hob neugierig den Kopf, als Jim an den Tischen vorbei zu der Ecke
ging, wo die Studenten saßen, und Karl eine Hand auf die Schulter legte.
Karl fuhr hoch.
»Jim! Gott sei Dank. Setz dich zu uns -« »Nein, nicht jetzt. Guten Abend alle
zusammen. Karl, komm bitte einen Augenblick mit nach draußen.« Karl folgte ihm
auf der Stelle.
»Was ist denn passiert?«, drängte er. Und mit besorgtem Unterton: »Weißt du
schon, dass die Königin fort ist? In der Stadt gehen die wildesten Gerüchte um. Es
heißt, Gödel wollte sie erschießen lassen ... Wer ist das?« Adelaide schob ihre
Kapuze zurück und trat einen Schritt vor, so dass ihr der Schein der Gaslaterne ins
Gesicht fiel.
Karl hätte beinahe gejauchzt und wollte sich schon verbeugen, doch Jim packte ihn
am Arm und sagte: »Nicht hier. Du, wir müssen uns aufwärmen. Ist man im Hinterzimmer ungestört? Wir sind gerade aus der Burg geflohen. Wir hätten auch gern
etwas gegessen und getrunken, aber wir können nicht einfach hineingehen und uns
an einen Tisch setzen.«
Karl
nickte.
»Ich
brauche nur
eine Minute.
Ich
bitte Matyas,
die Hintertür
aufzuschließen - das ist die Tür, die auf die Gasse dort geht.«
Er trat wieder in das Kaffeehaus, kurze Zeit später ging die Hintertür auf und Karl
führte die drei Ankömmlinge in ein kleines Hinterzimmer. Ein Kachelofen verbreitete
eine bullige Wärme, der Schein einer Stehlampe fiel auf eine karierte Tischdecke
und eine getigerte Katze schnurrte in einem Schaukelstuhl.
Karl verscheuchte die Katze und Adelaide nahm dankbar Platz.
»Ich habe Matyas, den Wirt, eingeweiht. Er wird nicht plaudern. Er bringt gleich eine
warme Suppe und eine Flasche Wein. Darf ich Eurer Majestät den Mantel abnehmen?«
Es klopfte. Karl machte die Tür auf und herein kam der Wirt mit einem großen
Tablett, das er mit einer Verbeugung vor Adelaide abstellte. Er war ein stämmiger,
etwa
fünfzigjähriger Mann
mit
blauen
Augen.
Er
freute sich
wie ein
Kind
zu
Weihnachten, die Königin persönlich in seinem Haus begrüßen zu können. »Gnädige
Frau - Eure Majestät - bitte verzeihen Sie die mangelhafte Aufwartung. Wenn Ihnen
irgendetwas fehlt, bitte sagen Sie es mir und ich werde mich darum kümmern. Hier
sind Ihre Majestät sicher, so sicher wie in Ihrem Schloss.«
»Ich hoffe, dass ich hier sicherer bin«, antwortete Adelaide in ihrem besten Deutsch.
»Aber so willkommen wie hier habe ich mich selten gefühlt. Haben Sie vielen Dank.«
Der Wirt verbeugte sich nochmals und ging. Er hatte Suppe, Brot und Wein gebracht
und die drei langten tüchtig zu. Karl holte ein paar Gläser und entkorkte die Flasche.
»Ganz ehrlich«, versicherte Jim, »das ist die beste Suppe, die ich je probiert habe.
Ich könnte mehrere Teller davon essen. Wann habt ihr beiden zuletzt gegessen?«
»Heute Morgen«, sagte Becky. »Jim, man hat versucht, die Königin zu vergiften!«
Sie erzählten alles und Jim und Karl wechselten grimmige Blicke miteinander. Karl
berichtete vom Kampf in der Grotte, bei dem zwei Studenten ihr Leben verloren
hatten. Jim sah zornig aus.
»Da wäre noch die Spanierin«, sagte er. »Wir hätten nicht zulassen dürfen, dass sie
so in die Dunkelheit abgetrieben wurde.«
»Keiner hätte sie halten können«, sagte Karl. »Wir haben alles abgesucht. Und wir
haben die Leute am Fluss gebeten, die Augen offen zu halten für den Fall, dass der
unterirdische Strom irgendwo wieder ans Tageslicht kommt, aber -«
Karl sprach nicht weiter, weil es erneut an der Tür klopfte. Er stand auf und Jim hob
den Revolver. Karl ging öffnen und herein kam ein Student. Atemlos verbeugte er
sich, als er Adelaide erkannte. »Entschuldigt«, brachte er mit bebender Stimme hervor,
»aber
ich
komme gerade vom
Bahnhof
Tristan-Brücke.
Dort
war
alles
abgesperrt - keiner darf den Bahnhof betreten -, weil mehrere Züge aus dem Norden
eintreffen sollten. Ich konnte mich verstecken und habe beobachtet, wie deutsche
Truppen aus dem Zug stiegen; sie haben
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