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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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dem Palasttor. Auch die Dame, die im Thronsaal eingemauert stand, hatte sich, von Schönheit umgeben, gewiß nie Illusionen über das Leben gemacht.
    Unsere Köpfe waren näher beieinander, wie während der ganzen letzten Stunden nicht. Meine nackten Arme berührten die Haut von Iris’ Schultern, die gleichfalls feucht waren. Sie rieben sich nicht, sondern sie glitten übereinander, ich empfand erst Verlegenheit über mein Schwitzen, aber Iris ging es genauso, und jetzt waren wir schon viel zu eng aneinandergepreßt, um noch Bedenken dieser Art zu empfinden. Sie wich nicht zurück. Wir waren aneinandergeschmiegt und dann auch, ohne daß da einzelne Stadien noch hätten auseinandergehalten werden können, regelrecht verschmolzen. Ich sah neben meinem Kopf die winzige Dame mit dem übergroßen Auge im Profil, deren Nasenflügel mit einem Ring geschmückt war, auf dem elfenbeinernen Körper des Königs reiten, der den Turban, das Zeichen seiner Würde, ebensowenig abgelegt hatte wie bei der Jagd und im Krieg. Iris hielt den Kopf von mir abgewandt, ich sah nur ein Auge, das geschlossen war. In den Spiegeln wogte eine Ballung von Reflexen, die keinen geschlossenen Körper bildeten. Als Iris mir ihren Kopf unversehens zuwandte, ohne mich allerdings anzusehen, war mir, als bestehe er in Wahrheit aus zwei Reliefhälften, als fehle ein Stück, um ihn zu einem vollständig runden Kopf zu machen. Aber ich weiß genau, daß ich mich in diesem Augenblick erhoben und befreit fühlte – es gab schließlich niemanden, dem ich Rechenschaft schuldig war und von Fledermaussamen und ähnlichen Ausflüchten sprechen mußte.

9.
Der König reist
    Es wäre jetzt an der Zeit gewesen, mit dem König und seinem Bankier, der mit Gewißheit nicht in Sanchor, sondern in Ahmedabad oder Jaipur saß, eine genaue Beratung bezüglich des Hotelprojektes abzuhalten. Da gab es zunächst den Plan des Königs selbst, der durchzurechnen und auf seine Erfolgschancen zu prüfen war: ein Grandhotel im Frauenflügel des Alten Forts. Je länger ich daran herumknobelte, desto skeptischer war ich. Der Frauenflügel war als Behausung einer Königin und ihrer Damen, womöglich auch von Nebenfrauen, riesenhaft, aber für ein Hotel, das mindestens zwölf Suiten haben sollte, viel zu klein. Hier einen Bezirk des Luxus entstehen zu lassen, der die Gäste für die Abwesenheit jeder touristischen Attraktion entschädigte, würde die Mittel des Königs mit Gewißheit übersteigen. Es gehört zu den Absurditäten unserer Zeit, daß der Bau eines edlen Palastes voller Kunstschätze, silberner Möbel, Malereien, Spiegelzimmer und köstlicher Raumerfindungen einst bedeutend weniger gekostet hat als heute ein banaler Betonkasten mit aufgeklebten Dekorationen, die eine Ersatzkulisse für den wirklichen, den eben unbezahlbar gewordenen Luxus herstellen sollen. Der König war sich möglicherweise nicht im klaren darüber, daß sein Hotel, bevor es seinen Reichtum mehrte, wie einst durch Sanchor ziehende Karawanen mit ihren Abgaben dem Reich Subsidien gebracht hatten, vor allem zunächst eine gewaltige finanzielle Anstrengung bedeuten würde. Er sah seinen Palast als das, was er tatsächlich auch war, die Krone von Sanchor, die Zusammenfassung der einst beträchtlichen künstlerischen Kraft seines kleinen Reiches. Das Alte Fort war das Kostbarste und Schönste, was er und Sanchor besaßen, ein unbezweifelbar hoher Wert, der nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt wurde, daß es im Alten Fort nur einen einzigen Wasserhahn gab, aus dem nur selten ein wenig braunes Wasser floß. Gast in diesem Palast sein zu dürfen, mußte für jeden gebildeten Menschen, jeden homme de qualité ein unvergeßliches Erlebnis sein, denn daß hier der Verfall herrschte, änderte schließlich nichts an den vollendeten Proportionen der Gebäude, die in ihrer Würde unangetastet waren. In seiner majestätischen Bedürfnislosigkeit, die sich mit der seiner armen Bauern vergleichen ließ, vermochte der König sich nicht vorzustellen, was ein deutscher Immobilienmakler oder Schönheitschirurg als selbstverständliche Lebensnotwendigkeit seiner zivilisierten Persönlichkeit ansehen würde. Luxus war nicht mehr der außergewöhnliche Zustand von Schönheit und Pracht und Geschmack in Hülle und Fülle, sondern eine exakt kategorisierte Ware, über der eben nicht mehr ein unabsehbares Sternenmeer funkelte, sondern die präzis bemessenen fünf Sterne. Und auch die leuchteten nur, wenn im Badezimmer einer

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