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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Hose hochzuziehen, sie blieb dann ein Weilchen länger auf der gewünschten Höhe. Ich sah in dieser Geste den Beweis, daß er sich für größere, auch überraschende Aufgaben gerüstet hielt, ein grundsätzliches Bereitsein drückte sich darin aus. Daß Purhotis Version vom Scheitern der numismatischen Transaktion ganz anders klang, war selbstverständlich. Solche Vorfälle ignorierte der Brahmane en titre.
    Nick hatte diese Ausschweifungskatastrophe in völliger Teilnahmslosigkeit hingenommen – »wie immer, wie bei mir schon«, sagte Iris, und es klang sogar ein wenig bitter. »Es gibt Männer, die einen verlassen und die man dennoch weiterliebt. Das ist die beste und die schlimmste Sorte; wenn man an so einen gerät, ist man verloren. Ich achte darauf, solche Herren nach Möglichkeit auszulassen. Es gibt Männer, die man selber verläßt, die aber Freunde bleiben. Meist war dann nicht viel, und der gesamte Liebesaufwand war nur ein Mißverständnis. Es gibt Männer, die einen verlassen und die man dafür haßt, dann ist man vollends die Dumme. Nick gehörte zu der Sorte, die ich verlassen habe und gleichzeitig haßte, weil ich mir von ihm bekleckert vorkam. Ich glaube, er wollte gern zugucken, wenn ich ihn betrog.«
    Ich tat, als staune ich darüber, daß es Mrs. Jenkins gelungen sei, einen Mann wie den Prinzen Gopalakrishnan Singh in ihren Sexualsumpf zu ziehen. Waren die Sphären dieser beiden Menschen nicht unüberbrückbar getrennt? Nun, ein vergleichsweise kleines Körperteil konnte solche Kluften eben doch überwinden, zeitweise wenigstens. Eines Morgens hatten die Jenkins beim Erwachen den Palast wie ausgestorben vorgefunden. Als sie von der erfolglosen Suche nach einer Menschenseele in ihr Schlafzimmer zurückkehrten, fanden sie schließlich einen Diener, der gerade dabei war, ihre Kleider recht lieblos in die Koffer zu stopfen. Draußen war ein Taxi vorgefahren. Ein royaler Hinauswurf. Nick war außerstande, Peinlichkeit schmerzhaft zu empfinden, aber der Abschied von den soeben mehr erahnten als entdeckten Miniaturen tat ihm weh.
    »Und natürlich ist er immer noch mit Rowena zusammen«, sagte Iris streng. »Solche Ereignisse bilden offenbar einen festen Kitt.« Sie selbst habe sich pragmatischerweise längst mit Nick versöhnt. Man dürfe die Abneigung gegen andere nicht in Selbstschädigung umschlagen lassen. Immerhin leite er inzwischen das Department Persian Paintings im Victoria and Albert Museum. Die helle Lampe war vor allem auf das Stück Wand gerichtet, das Iris bearbeitete, aber ein Lichtstrahl fiel auch auf meine Spiegeldecke. Die Spiegelscherben waren nicht ganz plan zueinander gesetzt, so daß sie kein geschlossenes Bild erzeugten, sondern ein vielfältig gebrochenes, wie eine Wasseroberfläche, in die ein kleiner Stein geworfen wird. Mein Körper erschien aufgesplittert und als fliege er sanft in tausend Stückchen auseinander. Meine Arbeit machte mir Freude. Immer mehr Spiegelsilber offenbarte sich.
    »Man müßte in diesem Zimmer mit einer Kerze sitzen. Ich könnte mir vorstellen, daß jedes Spiegelchen sie reflektiert.«
    »Nichts leichter als das«, sagte Iris. Sie habe Kerzen dabei, denn der Stromausfall sei nur eine Frage der Zeit, jeden Tag falle der Strom schließlich für ein paar Stunden aus. Seltsamerweise nicht beim Erdbeben neulich. Hell erleuchtet wäre der Monsun-Palast über uns zusammengestürzt. Am Leben geblieben wäre nur der König, der erst nach dem Erdstoß eintraf. Ihn selbst hätte das am wenigsten verwundert.
    »Noch nie ist ein König von Sanchor beim Erdbeben umgekommen. Manche wurden ermordet, andere starben auf der Jagd, viele sind im Kampf gefallen.« Mit diesen Worten hatte der König mir noch einmal seine These bekräftigt, daß die nur scheinbar blinde Gewalt der Erde die Monarchie respektiere. Als habe sie meine Gedanken lesen können, sagte Iris unversehens: »Der einzige Mensch, der den König ernst nimmt, ist Jimmy. Er findet ihn gefährlich. Er hält ihn für ein Hindernis auf dem Weg des Fortschritts. Am liebsten hätte er sein ganzes Reiseprogramm umgestoßen, um den König auf den richtigen Weg zu bringen, in mehreren vielstündigen Diskussionen, eigentlichen Missionsgesprächen. Er wäre gern Zeuge, wie der König sein Königtum ablegte, ein Königtum, das von allen Menschen außer dem König selbst nur Jimmy für etwas Reales hält.« In einem Kopf wie dem von Jimmy sei dies Ablegen des Königtums eine geradezu physikalische Voraussetzung für

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