Das Beben
Suite das Wasser in der Wanne auf Knopfdruck zum Brodeln gebracht werden konnte.
Ich hielt für den König, den ich inzwischen schon gar nicht mehr mit den groben ökonomischen Fakten behelligen wollte, einen Gegenvorschlag bereit, der ihn erheblich weniger, beinahe überhaupt nicht belasten würde und der leichter zu realisieren war. Meine dänischen Auftraggeber planten ein Luxushotel in Zelten, eine aufwendige Karawane, die eine mittelgroße Reisegruppe zu Zielen fern der touristischen Trampelpfade führen sollte. Konnte die Karawane nicht auch in Sanchor Station machen? Einmal im Monat während der Saison kämen dann die Omnibusse und Lastwagen angerollt, stellten die Zelte mit Fernseher und Badezimmer vielleicht im großen Hof des Alten Forts auf, wo auf offenen Feuern Lämmer gebraten würden, und nach nächtlichem Feuerwerk und Audienz bei Seiner Hoheit im Thronsaal wäre der Spuk schon wieder für eine Weile vorbei. Genug für zwei Stunden Besichtigung bot Sanchor.
Solche Gedanken entwickelte ich mit dem besten Willen, in einem Gefühl, den König vor sich selbst schützen zu müssen, und kam mir dabei schon geradezu niederträchtig und verräterisch vor. Und nun erst, nachdem ich Iris-Winnetous Lästerreden über den König widerspruchslos angehört hatte! Ich hätte protestieren müssen. Warum ich das nicht tat, war mir gleichfalls klar.
Hatte ich auch Manon verraten? Diese Frage war nicht so leicht zu beantworten. Das Freiheits- und Befreiungsgefühl hielt auch am nächsten Morgen noch in mir vor oder ließ sich jedenfalls noch einmal etwas abgeschwächt hervorrufen. Es mischte sich auch Trotz und Schadenfreude hinein, sogar Racheempfindungen, als sei Rache ein Institut, auf das man ein Recht erwerben könne. Aber zugleich weckte diese Freiheit ein Unbehagen. Wollte ich etwa gar nicht so frei sein? Wollte ich etwa gar nicht das Recht besitzen, mich zu rächen? Mir war, als hätte ich eigentlich auch keinen Anlaß dazu. Ich hielt jetzt plötzlich für möglich, einem Mißverständnis erlegen zu sein. Warum hatte ich Manons Erklärungen nicht angehört? Warum hatte ihre offenkundige Verzweiflung bei mir nicht wenigstens den Verdacht geweckt, es könne so einfach, wie die Dinge aussahen, am Ende nicht gewesen sein?
Schweigend war ich mit Iris aus dem Alten Fort zurückgekehrt. Wir liefen nebeneinander her, ohne uns zu berühren, was sich auf den Straßen von Sanchor ohnehin verboten hätte, aber ich vermute, wir wären auch in libertiner Atmosphäre nicht umschlungen dahergekommen. Die Nacht verbrachte ich jedenfalls allein, gleichfalls unverabredet, aber auch Iris war es wohl darum zu tun, im Palast keine Erinnerungen an Rowena Jenkins zu wecken.
Der König hatte mich auf einen kurzen Brief, den ich ihm von dem alten Kuhhirten überbringen ließ, wissen lassen, Gelegenheit zu ausführlicher Beratung des Hotelprojekts biete eine kleine Reise, die er morgen zu unternehmen habe, in Wahrnehmung königlicher Pflichten. Die Fahrt sei lang, und während ihr seien wir ungestört. In Sanchor erlaube der Tagesablauf keine mehrstündigen Besprechungen. Jedenfalls nicht mit mir – da mochte er Recht haben. Am Telephon allerdings verließ ihn sein antreibendes Zeitgefühl. Ein Telephongespräch fand außerhalb der von Uhren zu messenden Zeit statt. Vielleicht war in ihm das Erlebnis der Lebensvereinfachung und des Zeitgewinns, das die ersten Telephone in Sanchor bedeuteten, noch frisch erhalten. Ein Telephongespräch war zunächst immer zeitsparend und nicht zeitverschlingend.
Wie eine Vorbereitung auf diese gemeinsame Reise kam zu früher Morgenstunde durch das ausgetrocknete Land eine Frau in rotem Sari gewandelt, die, als sie den Topf mit Wasser, den sie von weit her getragen hatte, absetzte, zwei Scheitel in ihrem Haar offenbarte. Das sei, hatte ich erfahren, einst Brauch der Frauen von Sanchor gewesen, heute aber nicht mehr so häufig zu sehen. Der eine Scheitel war der Pfad der Götter, der andere der Pfad des Königs. Übrigens drücke sich, so Gopalakrishnans Überzeugung, in dieser Frisur heute keineswegs etwa ein politisches Treuebekenntnis zum Königtum aus, sie sei einfach eine Gewohnheit, eine etwas irritierende Gewohnheit allerdings, man glaubte, der Kopf sei irgendwie falsch zusammengesetzt. Auf meine Frage, ob es so etwas wie alte Königstreue, Sehnsucht nach der Monarchie und Verschworenheit mit dem König in Sanchor denn noch gebe, antwortete der Agnat ausweichend: »Sie beobachten uns, sie
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