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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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den Fortbestand der Erde. Wenn ein König sein Königtum ablege, um sich als Gleicher unter die Gleichen froh einzuordnen, seufze in den mystischen Vorstellungen eines Jimmy die Erde regelrecht auf. Er habe Iris hinterlassen, daß sie alles tun müsse, um wenigstens die Prinzessin-Schwägerin aufzuhetzen – das sei es, was er meine, gewählt habe er ein anderes Wort. Iris müsse nach Jimmys Phantasien die Schwägerin dazu bringen, ihrem Schwager unvermittelt ohne den Purdah, den Schleier, entgegenzutreten. Ein solcher Aufstand gegen die Form müsse wie ein Schock auf den König wirken, ein Stoß, der vielleicht die monarchische Riesenkuppel erzittern und womöglich einstürzen lasse. Jimmy male sich Haremsszenen aus, in denen Iris und Prinzessin Karōna Devi nur halb bekleidet zusammenkuschelten und sich die Haare kämmten, und diese schönen Stunden müßten der unterdrückten Rajputin das Herz öffnen. Im Grunde seien Menschen wie Jimmy in ihrem politischen Engagement vom Kino verdorben. Wie viele verkorkste Existenzen habe er lange Zeit versucht, einen Film zu drehen. Das Auftreten der Prinzessin Karōna Devi ohne Purdah oder gar das Herunterreißen ihres Purdahs und die Entschleierung eines trotzigen Frauenblicks sei eine echte Filmszene, eine Drehbuchidee. Dabei bleibe es dann meistens, über diesen bildnerischen Höhepunkt gehe es dann meistens nicht hinaus im Kino.
    »Ich werde den Teufel tun, um Karōna Devi mit solchen Vorschlägen zu belästigen. Meine Lebensdevise ist: Jeder, wie er kann und wie er muß – was geschehen soll, geschieht.«
    Das stamme aber doch auch aus dem Kino, sagte ich, meinem kubistisch vielfältig verzerrten Gesicht über mir zugewandt. Iris wandte mir erstmals ihren Kopf zu und sagte mit ruhigem Staunen: »Woher wissen Sie das? Sogar aus einem sehr schönen Film.«
    Es war viel Zeit vergangen. Als ich mich neigte, um den Kopf aus der Tür zu stecken, sah ich warmes goldenes Abendlicht die steile Treppe zwischen den hohen Mauern herabfließen. Jede Stufe hatte einen scharfen, dunklen Dreiecksschatten, und auf der Mauer lag ein rotgoldener Schein. Die Kinder waren fort. Die Vögelchen, die zu einer bestimmten Stunde den Kopf unter die Flügel stecken, hatten sich, ohne daß wir es bemerkt hätten, verzogen. Auch der Greis war nicht in Sicht. Nur ein Schwarm von Raubvögeln umkreiste das Alte Fort in großer Höhe. Der Geier oder Adler dort oben sah mich, während ich aus dem Türloch blickte, viel genauer als ich ihn.
    »Wir sind allein hier unten«, sagte ich zu Iris. Sie hatte eine oder zwei Handbreit von dem Miniaturenfries schon ganz von den Schmutzschleiern befreit, im Gegensatz zu den noch ungereinigten Stücken leuchteten sie frisch hervor. Ich verstand jetzt, warum ein solch kostbares Zimmer so klein sein mußte. Kleinheit war der einzig mögliche Rahmen dieser Kunst. Wer hier auf der den Boden streifenden, mit herrlichen Kissen bedeckten Schaukel lag, die selber schon mit kleinen Elephanten und Rössern, Pfauen und Schwänen bedruckt und bestickt waren, glitt in der langsamen Bewegung des Schaukelns an diesen Bilderbögen auf der Höhe seines Kopfes vorbei. Es waren Bilder, die gleichsam aus den mit Daunen gefüllten Kopfpolstern hervorquollen. Die fürstliche Jagd: der König mit rosafarbenem Turban und Augen, deren Wimpern man zählen konnte, auf dem zierlichsten Elephanten thronend und zugleich seinen nadelscharfen Jagdspeer schleudernd, der drachenartig schöne Tiger, der im Aufgespießtwerden noch einen Ballettsprung durch die von Blumensternen übersäten grünen Wiesen machte. Sollte es hier wirklich, wie Purhoti beteuerte, einmal so sattgrün ausgesehen haben, so paradiesgärtleinhaft mit Erdbeeren und Himbeeren und anderen köstlichen Früchten und Früchtchen gesättigt? Waren die Könige in solch jugendschöner Eleganz auf die Jagd gezogen, ein Töten und Erdolchen ohne Schweiß und Blutflecken, wie es sich für die Augen der Frauen geziemte, die ihren Serail nie verließen und die Außenwelt nie anders als durch die winzigen Löchlein der durchbrochenen Fenstergitter sahen? Von Ernst und Härte des Lebens konnten sie in ihren Käfigen, die stets neu von Essenzen und Räucherwerk durchduftet waren, dennoch erzählen, und auch sie selbst waren zu einem feurigen Ende bestimmt; nach einem kurzen Leben in kunstvollster Pracht erwartete sie der Scheiterhaufen, und vor dem Anzünden drückten sie ihre in parfümierte Farbe getauchten Hände noch gegen die Mauer neben

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