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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wissen nicht genau, woran wir sind. Wir sind da, wir sind in unseren Palästen, Seine Hoheit verbringt buchstäblich jeden Tag mit Repräsentation, aber Sie wissen auch, daß mit unserer Herrschaft etwas geschehen ist, etwas schwer Beschreibbares, und nun wollen Sie feststellen, wie wir uns verhalten, um ihr eigenes Verhalten danach auszurichten.«
    Wie geschah es, wenn der König den Pfad des Scheitels beschritt? Merkte die Untertanin davon überhaupt etwas? Es war gut, daß ich früh erwacht war, zur Stunde der größten Schönheit des kahlen Parkes, wenn eine Rauchigkeit über ihm lag und das Morgenrosa verschleierte. Alles atmete dann Verheißung. Jeder streunende Hund und jeder auf einem Ast wankende Pfau waren Boten eines Ereignisses, das dann nicht unbedingt eintraf. Wenn der Neue Palast aus der Nacht in den Tag eintauchte, war es wie zu den Jahren seines größten Glanzes. Jeden Augenblick könnten sich seine hundert Fliegendrahtpendeltüren öffnen und einen Strom von schlanken Dienern in weißer Seide mit safrangelben Turbanen entlassen. Statt dessen wurde an meine Tür gekratzt. Zum Glück war ich schon halb angezogen.
    Die beiden Männer draußen kannte ich nicht. Der kleinere war hübsch und etwas feist, kurzbeinig, aber sehr elegant in einem Anzug aus Rohseide, hochgeschlossen, dazu trug er einen bunten runden Turban, der ihn noch ein wenig kompakter aussehen ließ. Der andere Mann war groß und dünn, in engem Uniformrock, der dies Dünne noch hervorhob, weil er trotz seiner Tailliertheit lose saß. Die beiden drängten ohne weiteres herein und machten keine großen Umstände sich vorzustellen. Der Maharao sende sie, sagte der kleine Turbanträger mit etwas zu behendem Charme, er war auf naive Art eitel und glaubte gewiß, die ganze Welt zu beglücken, wenn er so nett war, ein Lächeln aufzusetzen. Der dünne Mann hingegen war von großem Ernst. Seine Adlernase und sein schwarzer Schnurrbart betonten noch das militärische Air.
    Ich möge mich setzen, wurde mir bedeutet. Der König habe angeordnet, daß ich bei der Festlichkeit, zu der wir reisten, einen Turban zu tragen hätte. Der kleine Mann war kein Diener, wurde mir jetzt klar. Der lange Dünne hatte unterdessen viele Meter bunten Stoff aus einem kleinen Paket kunstvoll um Hand und Ellenbogen gewickelt. Er begann seine Turbanwindung mit knappen, wohlkalkulierten Bewegungen, als habe er einer ganzen Kompanie die Turbane zu präparieren. Bahn um Bahn legte sich um meine Stirn. Der Stoff war fest und etwas kratzig. Dann durfte ich mich im Spiegel besehen. Auf meinem Kopf saß eine knallbunte Bombe. Dies Rot, Gelb und Grün verlangte nach dunkler Haut. Ich sah wie ein rosiges Schwein darunter aus. Wenn ich diesen Turban trug, würde ich die komische Figur des königlichen Cortège. War mir diese Rolle womöglich zugedacht? Sollte ich wie die Geisel eines besiegten Volkes mitgeführt werden, oder als hoch aufgeschossener Ehrenzwerg oder Ehrenmonstrosität? Der Turban war so fest gezwirbelt, daß er sich, ohne auseinanderzufallen, abnehmen ließ wie ein Hut. Draußen stand der Jeep, der brave Streitwagen, während die verwöhnten Chevrolets räderlos und aufgebockt buchstäblich jeder Arbeit enthoben waren.
    Ob sich jemand einen Turban aufsetzen läßt, kann er nur selbst entscheiden. Ich war zu dieser Entscheidung jetzt nicht imstande. Schuldbewußtsein gegenüber dem Herrscher lähmte mich, hypochondrisches Nachsinnen über Manon, sogar eine Art irrlichternde Reue gegenüber dem Vorfall in der Fledermauskammer, auch eine Art Groll gegenüber Iris, die das Ereignis für meinen Geschmack allzu lässig-männlich nahm. Sie schlief wohl noch; wo, wußte ich nicht. Aus der Ferne kam ein junger Mann herangeschlendert, ärmlich, aber städtisch sportlich gekleidet, mit sehr dunklem, ein wenig groteskem Gesicht, faunisch, mit abstehenden dickschwarzen Haarbüscheln und wild in den Gaumen gefügten weißen Zähnen, die Hände in den Hosentaschen, von einer Feingliedrigkeit, die zunächst unterernährt wirkte, ohne es zu sein. Dieser Achtzehnjährige war der Fahrer des Jeeps. An der Rampe des Palastes versammelte sich jetzt Dienerschaft, wie der schmutzige alte Kuhhirte gekleidet in der Tracht der Devasi. Es wurde deutlich, daß diese Reisegesellschaft nach ganz anderen ästhetischen Prinzipien zusammengesetzt war als die stumm ergebene Gruppe, die vor allem dazu gut war, mit entzücktem Lächeln zu grüßen und sich zu verneigen. Der dreiste, hochzeitlich

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