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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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geputzte junge Rajpute, der ernst-entschlossene, adlerartige dünne Mann, hinter dessen Schweigen sich gewiß noch mehr Kenntnisse verbargen als die Kunst, komplizierte Turbane zu wickeln, was an sich schon Wissenschaft genug gewesen wäre, der wild-ungezähmte Chauffeur und ich: wir vier stellten weniger ein dienendes Gefolge als eine kleine Argonautenschar dar. Was der König auch tat, er tat es mit Bedacht.
    Er trat aus seinem Pavillon. Für die Reise hatte er ein Sporthemd angezogen, das er über den Hosen trug, der Kragen war wieder schillerkragenmäßig ausgelegt. Wann hatte er dies Konzept der Schillerkrägen adaptiert? Es paßte eigentlich besser in die Kreise, von denen er sich als junger Mann fern, vielleicht zum Schaden der Monarchie allzu fern gehalten hatte, zu den Intellektuellen und Rechtsanwälten um Leute wie Jinnah und Chandra Bose, die in den dreißiger Jahren für die Freiheit Indiens kämpften. Der König holte den antienglischen Affekt mit jahrzehntelanger Verspätung jetzt gleichsam nach. Es war nun keinerlei politischer Vorteil mehr damit verbunden, wie mit keiner Haltung, die der König sich zu eigen gemacht hatte. Der Jeep war ungefedert. Die Sitze bestanden aus Segeltuchbahnen, die in Eisenrahmen gespannt waren und auf denen es sich nach kurzem so hart wie auf Holz saß.
    »Ich warne Sie, mit meinem Bruder zu reisen«, hatte Prinz Gopalakrishnan Singh gesagt, »die Bedingungen werden spartanisch sein.« Was verband er mit Sparta? Wahrscheinlich nicht viel mehr als den Jeep Seiner Hoheit. Verwöhnt wie er von seiner Haltung her wirkte, hätte man ihm am liebsten jeden Schritt erspart. Gopalakrishnan hätte eigentlich von Zimmer zu Zimmer getragen werden müssen. Solche Wünsche verbat ihm aber seine liberal-demokratische Geheimüberzeugung, in einer Welt zu existieren, aus der die Wirklichkeit unablässig herausrann wie Reis aus einem geplatzten Sack. Reis war nebenbei sein bevorzugtes Nahrungsmittel, eine Schüssel weißer Reis mit etwas Salz und Butter, aber obwohl der König diese Vorliebe teilte, verachtete er eine Tafel, die nicht in alter Weise reich bestellt war. Für die Abfahrt hatte er als Stärkung heiße Safranmilch bestellt, die nun in klebrigen Gläsern gebracht wurde, der Blütenstaub und der zarte Stempel der Safrankrokusse schwammen auf der grau getönten, dickflüssigen Milch. Der König war glänzend gelaunt. Alle körperlichen Anstrengungen, ja Überanstrengungen, ließen ihn das Leben als genußreich empfinden. Er versetzte sich selbst gern in Erstaunen mit Schilderungen der Strapazen, die er täglich auf sich nahm. Gestern Nacht sei er erst gegen drei nach Hause gekommen, er habe also nur zweieinhalb Stunden geschlafen. Es war gut, wenn der König eines Reichs leistungsfähiger und stärker war als seine Untertanen. Er war vielleicht nicht geradezu stärker, aber unermüdlicher. Das war, so unterrichtete er mich, vor allem eine Frage seiner Intelligenz. Wenn Intelligenz fehlte, brachte Körperkraft nicht viel. Er hingegen war durch den Geist befähigt, seine Körperkraft richtig einzusetzen und das Letzte aus sich herauszuholen. Wenn sein Körper erschöpft sei, treibe der Geist ihn weiter. Man mußte anerkennen, daß der König keine Ruhe kannte. Dafür aber die Orte, die ihm zugehörten: Wenn er den Monsun-Palast oder den Neuen Palast verließ, versanken diese Häuser in einen tiefen Brunnen der Stille.
    Im Jeep wurde es eng. Neben dem lässigen und, wie ich mir vorstellte, unbeeinflußbaren, mutwilligen Fahrer nahm auf dem roten Königskissen unser Herrscher Platz, während sich auf der hinteren Bank der dünne lange Mann, der dreiste Rajpute und ich drängten. Nur Planen, die im Wind flatterten, trennten uns von der Außenwelt. Es war laut. Der Motor dröhnte und die Planen klatschten an die Eisenteile. Wie hatte Seine Hoheit sich unsere Konversation über Vorteile und Nachteile des Hotelplans vorgestellt?
    Sanchor schlief noch im schönsten Morgenglanz, als sein königlicher Herr es verließ. Von Priestern und Mönchen abgesehen, denen ihr Tempeldienst frühe Morgenstunden einzuhalten gebot, ruhten Stadt und Land lange in den Morgen hinein, während der König wachte. Schon Gopalakrishnan Singh war niemals vor halb elf zu sehen, und seine Frau stand erst um zwölf Uhr auf. So lange schlief der Haushalt ohnehin. Die königliche Gegenwart wirkte deshalb stets wie etwas Katastrophales, das Hereinbrechen des Außerordentlichen, und damit fiel jedenfalls die säuerliche

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