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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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benutzt, und dann auch nicht diese Zimmer, sondern große Zelte in den Höfen. Der Stil der Herrschaft hat sich verändert. Seine Hoheit empfängt heutzutage Hunderte und Tausende von Leuten, die den König früher kaum einmal gesehen hätten.« Wir schoben uns einen schmalen, über und über bemalten, geschnitzten, verspiegelten Gang entlang und befanden uns bald in einer winzigen Kammer, deren Pracht alle vorhergehenden übertraf. Drei Fensterbögen öffneten sich auf das Tal von Sanchor. Weichgraue Gebirgszüge, lavendelgraue Sandflächen, die blinkende, wirre Stadt mit ihren summenden und brausenden Geräuschen, die wie unter einem dicken Kissen gedämpft zu uns emporstiegen, in der Ferne sogar den Neuen Palast in seiner edlen Ödenei und die Einsamkeit, in die all das gebettet war, das Reich.
    »Wir befinden uns jetzt im Erker«, sagte Purhoti. Dies war das Zimmer des Königs. Auf dessen Schwelle hatten die Purhoti-Vorfahren gesessen, meist mit Lektüre beschäftigt, auch mit eigenen Notizen, gelegentlich vom Palmblatt aufblickend und den objektiven Blick zur bequem am Fenster lagernden Hoheit hinüberwendend. Der Palast war ein Bienenhaus mit Waben, in dessen Herz, in der kleinsten und köstlichsten Wabe, der König saß, zugleich im Allerinnersten und im Äußersten, auf einziger Säule hoch über Sanchor thronend und es ganz überschauend. Wenn in früheren Jahrhunderten die Edlen und die weniger Edlen und auch die wohlhabenden Gemeinen zu großen Festen in das Fort geladen worden waren, hatten sie unten in den Höfen in langen Reihen getafelt und den Tänzerinnen zugesehen, während hoch über ihnen in dem Erkerfenster, aus dem ich nun hinaussah, das Rosa des königlichen Turbans aufschien: »Soviel Rosa sahen sie vom König«, sagte Purhoti, hielt seinen kleinen Finger in die Höhe und wies auf dessen perfekt hellrosa Nagel.
    Weite Teile des Palastes boten ein Bild der Verwüstung. Nachdem immer neue Türen geöffnet und hinter uns verschlossen worden waren, befanden wir uns in geplünderten, schmutzigen Regionen, deren einstige königliche Geschmücktheit kaum mehr zu ahnen war. Rostige Rattenfallen sprachen vom Kampf gegen unwillkommene Mitbewohner. Teppiche und Kissen hingen in Fetzen. Es kam jetzt auch europäisches Mobiliar vor, Belle-Epoque-Sophas, gepolsterte Puffs, grobgeschnörkelte Hocker, ein von weißem Staub dick bedecktes Klavier. Wir standen schließlich in einem Saal, der keine Fenster hatte und sein Licht durch einen am Ende gelegenen offenen Schacht erhielt. In der Verwahrlosung hatte man versucht, eine gewisse Ordnung zu wahren. Sophagruppen mit gedrechselten Tischchen, Ottomanen und Clubsessel waren in symmetrischen Gruppen im Raum verteilt, auf Tischchen standen staubbedeckte Kristallvasen mit Wachsblumensträußen. Es war, als habe man ein Prunkmausoleum auf dem Père Lachaise möbliert, ich hielt unwillkürlich nach Gießkannen und verblichenen Kranzschleifen Ausschau. Diese düstere Halle, die durch den Lichtschacht ein weiches Kellerlicht empfing, entbehrte dennoch nicht einer märchenhaft kindlichen Dekoration: In ihren weiten Gewölben hingen Hunderte von dicken, metallisch unterlegten Glaskugeln, die bei uns Christbaumkugeln genannt würden, ihre obere Hälfte war von braunem Staub bedeckt, aber die untere blitzte frisch.
    »Dies sind die neuen Gemächer der Königin«, bemerkte Purhoti. Bevor der Neue Palast errichtet wurde, habe sich die Notwendigkeit ergeben, einen Frauenflügel hier oben neu zu gestalten, ohne Fenster natürlich und wohlverwahrt sollten die Damen dennoch allen neuzeitlichen Luxus genießen, den sie in den Residenzen der britischen Vizekönige in den Zimmern von deren Frauen gesehen hatten. Das Klavier sei ein Pianola, die Damen hätten Musik gehabt hier unten. Purhoti war entschlossen, außerhalb seiner Erklärungen, die er freigiebig und gründlich gab, meine Fragen abzuwarten. Er besaß eine solche Sicherheit, daß er nicht, wie ich das getan hätte, nervös im Gesicht seines Gegenübers nach Zeichen suchen mußte, wie das Gebotene wohl wirke.
    Ich war entgeistert. Die Vorstellung, daß die Frauen des Königs unter diesem Glaskugelhimmel mit dem Klavier eingesperrt worden waren, ohne mehr als ein paar Quadratmeter Himmel zu sehen, bedrückte mich. Dies war ein finsteres Gefängnis, und die verwesten Spuren von Luxus darin machten den Ort noch unheimlicher.
    »Seine Hoheit hat Wert darauf gelegt, daß Sie sich vor allem in diesen Frauengemächern gründlich

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