Das Beben
mehr hinzu. Ich fürchtete ihn vom ersten Augenblick, denn ich empfand, daß sein Blick unbestechlich war und alle Vorspiegelungen durchdrang.
»Seine Hoheit wünscht, daß Sie das Alte Fort kennenlernen«, sagte er statt begrüßender Worte mit Ernst und einer Miene, die ausdrückte, daß er jeden Befehl seines Königs ausführen würde, sich ein eigenes Urteil darüber freilich vorbehalte. Ob es sinnvoll war, mir das Alte Fort zu zeigen, ließ er zunächst dahingestellt sein.
Wußte er von dem Hotelprojekt seines Herrn? Später hatte ich Grund, daran zu zweifeln. Purhotis Ressort waren nicht Erfindung und Entwicklung, sondern Bewahrung und Dauer. Außerdem stand er nicht mehr im täglichen Dienst des Monarchen. Er war Lehrer. Das Sitzen auf der Schwelle des königlichen Kabinetts, wie es die Tage seines Großvaters und Vaters noch ausgefüllt hatte, mochte sich in den neuen Verhältnissen erübrigen. Der König saß nicht mehr beständig mit seinen Großen in der Reichsversammlung, auch die Pflicht, das Schwert des Rechts zu führen, war von ihm abgefallen. In der Lösung von so vielen zeitraubenden Pflichten war der König leicht geworden. Es hielt ihn selten lange an einem Ort. Wer an der Schwelle seines Kabinetts gesessen hätte, wäre dort die überwiegende Zeit allein gewesen.
Aber als Volksschullehrer in Sanchor zu wirken war kein Abstieg. Purhotis Autorität beim König war ungebrochen, und bei den Schülern – in einer kleinen Stadt wie Sanchor waren das eigentlich die meisten irgendwann einmal gewesen, von den Armen abgesehen, deren Erziehung Purhotis Sache nicht war – genoß er die höchsten Ehren. Wert legte er darauf wenig.
»Sie hören, aber sie folgen nicht«, sagte er ohne Leidenschaft aus seinem feinen Brotteiggesicht heraus, das den Ausdruck der Enttäuschung nicht kannte. Seine Hoheit habe ihn eben erst unterrichten lassen, daß ich hier zu empfangen sei. Glücklicherweise habe er dem Wunsch nachkommen können, denn die Schule sei aus. Seine Hoheit habe einen anderen Stil als weiland Maharao Haripal Singh, der strikt nach der Uhr gelebt habe, während sein nun auf den Thron gelangter Sohn sich dem Kommando der Stunden nicht unterwerfe.
Ich schreibe hier bewußt nicht mehr das mir schon liebgewordene »Hiseinis«, denn Purhoti artikulierte den Titel gestochen scharf und empfand offenbar gar keine Schwierigkeiten bei dem doppelten H und seiner Ruptur. Wir standen zu Füßen eines hohen kubischen Baus, der von außen durch die Mauer weitgehend verdeckt wurde, eines burgartigen Palazzo, der an Umbrien denken ließ und tatsächlich zur selben Zeit wie die schönsten Sitze dort erbaut worden war. Aus der steilen Fassade ragte als einziges Schmuckelement ein Erker, der von einem über die ganze Höhe des Palastes reichenden Pilaster getragen wurde. Der Erker war wie Geäst und Frucht eines riesenhaften Palmenstammes. Der Palast im Alten Fort hatte nichts Exotisches. Er bezauberte nicht durch orientalisches Dekor, er war von klassischer Schönheit und Schlankheit. Wenn das die fürstliche Hauptresidenz von Sanchor gewesen war, hatte es sich offenbar nicht um ein weit ausgebreitetes Reich gehandelt, sondern um etwas Zartes, Wohlproportioniertes; auch der Neue Palast hielt ja Maß, obwohl er in einer Zeit entstanden war, die Übertreibungen begünstigte. Dieser schlanke turmartige und jedenfalls turmhohe Palast hier war weiß gekalkt, der hohe, runde Pilaster und der Erker von warmem, erdigem Ocker. Ich war begierig, das Haus zu betreten, aber dafür mußten wir noch einen längeren Weg über offene Rampen zurücklegen, Tore durchschreiten, die von alten Männern oder kleinen Jungen gehütet wurden, und durch das Verteidigungssystem hindurchgelangen. Das Fort war eine wirkliche Festung, seine Mauern waren hoch und intakt und auf Kämpfe eingerichtet, während derer die Bürger der Stadt sich in die großen äußeren Höfe flüchten konnten.
Wir betraten den an den Hang gelehnten Palast von hinten, wo er kaum zwei Stockwerke hoch war. Von hier aus offenbarte sich seine Lage. Ich überblickte das Häusergewirr von Sanchor, in dem die ersten Neonröhren blinkten, mit dem Knäuel der elektrischen Leitungen über den Gassen, die Inseln der bläulich marmornen Tempelbezirke, deren Shikaras von bunten Wimpeln umflattert wurden, die Moschee mit grünspanfarbener Kuppel und am Stadtrand den englisch-gotischen Dorfkirchturm. Wie das Verhältnis zwischen den Religionen sei, fragte ich Purhoti, man höre von
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