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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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einen neuen Liedzyklus vor, ›Herbstliebe‹, das bezieht sich auf mich, ich bin zweiundfünfzig. Sie werden leider nicht daran teilnehmen können, Hiseinis wird mit Ihnen speisen wollen.«
    Sein Motorrad wirbelte viel Staub auf. Es herrschte ein weißes, milchiges Licht bei geschlossener Wolkendecke. Der Park, wie ich das Gelände nun schon selber nannte und wie es angesichts seiner erhabenen Dimensionen eigentlich auch nicht falsch war, ruhte unter einer Bleidecke.
    Es lag vielleicht an dem Empfang durch den von anderswo herbeigeeilten Doktor Sharma in seiner gewandten und beredten Stellvertretung, daß mir der Neue Palast von Anfang an nicht als ein wirklich von Menschen bewohntes Haus vorkam, sondern wie ein sich gleichsam selbst bewohnendes Haus, ein durchaus von Lebensspuren gezeichnetes Gehäuse, die aber womöglich nicht das Leben von Menschen hinterlassen hatte.
    Hatte ich nicht zu Hause schon so etwas geahnt? Meine Reise war keine wirkliche Geschäftsreise. Ich war auf der Flucht. Ich war hierher gereist, um unerreichbar zu sein. Ich wollte Manon den Weg zu mir verlegen. Wie sich die Schiebetür der Untergrundbahn vor ihrem weinenden Gesicht ohne Erbarmen geschlossen hatte – ein Triumph der Maschinenwelt, die von keinem der Manon eigenen Mittel zu beeinflussen war –, so sollte Sanchor mich ihrem suchenden Blick entziehen. Nur daß ich wohl schwerlich erfahren würde, ob sie überhaupt versuchte, mit mir in Verbindung zu treten, oder ob die Aussichtslosigkeit, an mich heranzukommen, die allzu bequeme Entschuldigung wurde, sich nun vollends von mir abzuwenden. Wer in Liebesdingen strafen will, straft immer sich selbst, eine empörende Einsicht, denn wo bleibt da die Gerechtigkeit?
    Im weißen Ambassador mit seiner ruinierten Federung ließ nun auch ich den Neuen Palast hinter mir, der nach allen Seiten hin offen dalag und es dennoch verstand, so verschlossen zu sein. Die koloniale Neustadt war rasch durchmessen, die engen Altstadtstraßen nahmen uns auf. Der Fahrer fuhr, so schien mir, nicht mit dem Gaspedal, sondern mit der Hupe. Der Ambassador war ein königliches Gefährt und forderte Aufmerksamkeit und Spalierstehen, Herbeieilen und Sichan-den-Straßenrand-Drängen, das drückte dies Hupen aus. Schneller ging es nämlich nicht, und sogar halten mußten wir im vollgestopften Straßengewirr unablässig, so daß die braunen Augen, die sich um uns versammelten, wann immer der Wagen stand, Gelegenheit hatten, sich sattzugaffen, während die Hupe pausenlos forderte und Lärm machte. Dann war der Stadtrand gewonnen, und der Blick öffnete sich auf hohe, schöne Festungsmauern und rundgebogene Zinnen. Eine steile Rampe führte die Mauer entlang zu einem schief in den Angeln hängenden Tor, mit rostigen Eisendornen reich bestückt; sie sollten Elephantenattacken abwehren, die als lebende Panzer einst solch ein Tor hätten berennen können, das jetzt viel wirkungsvoller von der Zeit geknackt worden war. Rechts und links davon zog sich eine lange Reihe in Stein gehauener Hände: die Erinnerung an die Königinnen, Prinzessinnen und Konkubinen, die ihrem toten Ehemann als Sati auf den Scheiterhaufen gefolgt waren.
    »Das Haus von Sanchor hat stets heroische Tugenden bewiesen«, sagte der Mann, der mich im Hof des alten Forts erwartete. Nicht nur, was Fahrer und Diener, sondern auch was würdige Stellvertretung anging, war der Maharao offenbar nie verlegen. Langsam trat dieser Mann auf mich zu, in Pullover und dunkler Hose höchst unauffällig gekleidet, aber sein Gesicht sprach sogleich von seinem hohen Rang. Es war aus einer weichen, feinen Substanz, als könne man es zupfend und knetend wie weißen Brotteig verformen. Sein Schädel war kahl, die Augen nicht groß und grau. Schon in seiner Hochgewachsenheit war er ein Gegensatz zu dem beweglichen Sharma, vor allem aber in seiner Unnahbarkeit. Vorstellungen erübrigten sich. Die Anrede »Sir« erfüllte beiderseits alle Erfordernisse. Die Hand, die er mir reichte, weil ich mich an die feierliche Verbeugung mit gefalteten Händen noch nicht gewöhnt hatte und ihm in kindlicher Unschuld meine Hand entgegenstreckte, war kühl und weich. Niemals hatte dieser Mann etwas Schweres angefaßt. Später erfuhr ich, daß er der erste Brahmane des Königs war, Purhoti hieß und in einer langen Folge von Beratern des Königshauses stand, die ihr Amt seit unvordenklichen Zeiten vom Vater auf den Sohn übertragen hatten, aber das fügte ihm für mich schon nichts Wesentliches

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