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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Spannungen.
    Spannungen seien da, antwortete er mit seiner sanften Entschlossenheit zur Objektivität. Aber diese Spannungen trügen politischen und nicht religiösen Charakter. Folgten die Menschen allein ihren religiösen Instinkten, wie in den ruhigeren Zeiten wieder, dann täten sie, was Furcht und Gier, ihre Zwingherren, ihnen befahlen: ohne Unterscheidung in alle Tempel, Moscheen und Kirchen zu gehen, überall Weihrauch, Kerzen oder Blumen zu opfern, um die Gottheit zu bestechen. Seine Worte klangen bei aller Nüchternheit, als mißbillige er dieses synkretistische Durcheinander.
    »Furcht und Gier verhindern die Unterscheidung.«
    Zu meiner Verblüffung betraten wir den hohen, steilen Festungspalast durch ein niedriges Pförtchen. Dies führte in einen kleinen Hof mit umlaufender überdachter Galerie, hier war einst von Tänzerinnen den hohen Herrschaften vorgetanzt worden. Die Glasscheiben in den Türen waren blind und zum Teil gesprungen, sonst aber herrschte eine freilich unpoetische Besenreinheit, das Haus verkam nicht, aber es ruhte auch kein liebevoller Blick auf ihm. Ein reich intarsiertes, mit Bronzebeschlägen versehenes Tor öffnete sich von innen. Dort saß ein Mann auf dem Boden und hatte unsere Annäherung, ich weiß nicht wie, mitbekommen.
    Die Halle, die sich hier auftat, war nicht groß, doch von vollendeter Schönheit. Über den Boden war ein schwefelfarbener Teppich gebreitet. Wir legten die Schuhe ab, bevor wir ihn betraten, Purhoti tat dies unter langsamen, gemessenen Bewegungen, als habe er einer atemlos zusehenden Schülerschar ein für allemal vorzuführen, wie der Mensch seine Schnürschuhe ablegte, ohne ungeduldig an Bändeln herumzuzerren. Der Schuh »mußte nur seinem eigenen friedlichen Willen anheimgegeben werden«, wie es an anderer Stelle heißt, um sich vollständig gewaltlos an- und ausziehen zu lassen und nicht nach meinem Vorbild dabei an der Ferse niedergetreten zu werden.
    Der Raum war von Nischen aus intarsiertem Marmor umgeben. Große, mit Silberblech beschlagene Sessel standen darin, für König und Königin, und auf halber Höhe umgab ihn ein grau-weißer Fries aus persischen Miniaturen, die bei der letzten Stürmung des Forts vor gut zweihundert Jahren durch Feuer beschädigt worden waren – den Ruß sah man heute noch –, aber in dieser grau-schwarzen Brandigkeit womöglich noch kostbarer aussahen, als in unversehrten Buntfarben. Klein mochten Hof und Staat von Sanchor gewesen sein, aber provinziell waren sie nicht. Für die Ausstattung war nur das Schönste gut genug gewesen. Und dieser Schönheitssinn war kein Ausfluß von Schwächlichkeit und bequemer Feindesliebe, sondern ging mit Zügen von Angriffslust und äußerster Reizbarkeit einher. Dem Mogul Schah Jahan war es geglückt, dem aufständischen König von Sanchor die Frau zu rauben und in den eigenen Harem gelangen zu lassen. Da hatte der König nicht geruht, bis es ihm geglückt war, sie zurückzurauben. Und das gelang auch, sagte Purhoti in eisiger Ruhe, als habe er die Chancen des Unternehmens selbst seinerzeit im Rat mit abgewogen. Für die hohe Dame sei die Heimkehr nach Sanchor allerdings nicht so erfreulich gewesen.
    Hier ruhe sie, sagte Purhoti, indem er die feinweiße Brotteig-Hand auf die Marmorwand legte. Am Tag ihrer Rückkunft nach der Prozession auf geschmücktem Elephanten in goldener Sänfte, um sie dem Volk zu zeigen, sei sie hier eingemauert worden – stehend übrigens, weshalb der Ausdruck, sie ruhe, vielleicht nicht vollständig passe. Ihr war immerhin vorzuwerfen, daß der Mogul sich in einer gewissen fatalen Schwägerschaft mit dem König von Sanchor befand. Warum hatte sie sich, bevor sie das Brautbett in Delhi bestieg, nicht umgebracht?
    Von diesem Saal, der noch in seiner zarten Verletztheit von einem makellosen Geschmack sprach, öffneten sich schmale Flügeltüren zu weiteren Gemächern, die sämtlich viel kleiner waren, gefügte Kästchen mit Decken, aus Tausenden von Spiegelscherben zusammengesetzt, Miniaturfriesen, eingelegten Marmortulpen, von der Decke herabhängenden Schaukelbetten. Die Kissen und gestopften Rollen auf den Teppichen waren mit verblichenen Stoffen bezogen, brüchigem Samt, weiß gewordener Seide, ich wagte sie nicht zu berühren. Es war, als habe dieser Palast hundert Jahre geschlafen, bewohnt nur von der stehenden toten Königin im Königssaal.
    »Aber genauso verhält es sich auch«, sagte Purhoti, »dieser Palast wird nur noch für die Königskrönungen

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