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Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Titel: Das Begräbnis des Monsieur Bouvet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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sie hat gar nicht geweint.«
    »Klar, wenn er auch ihr Vater ist, gut gekannt hat sie ihn ja nicht.«
    Der Akkordeonspieler verließ das Haus. Madame Jeanne ging nach unten und räumte noch ein bißchen auf. Sie zog die Vorhänge zu und kleidete sich aus. Sie betrachtete die Zahnlücke vorn in ihrem Mund und dachte bei sich, daß sie sich nun doch einen neuen Zahn einsetzen lassen sollte.
    Sie schlief ein, und bis zur Rückkehr des Musikers geschah nichts. Sie schaute nicht auf die Uhr, denn sie wußte, daß es zwei oder drei Uhr morgens sein mußte.
    Sie hatte verworrene Träume, in denen Monsieur Beaupère eine wichtige Rolle spielte, in denen er sogar ihr Mann war. Sie war deshalb ein wenig verlegen, fragte ihn, wie das komme, da sie doch gar nicht verwitwet sei und Ferdinand immer noch als Nachtwächter in der Garage in der Rue Saint-Antoine arbeite.
    Worauf Monsieur Beaupère mit einem Lächeln, das überhaupt nicht zu ihm paßte, antwortete:
    »Eben.«
    Eben was? War der Akkordeonspieler schon nach Hause gekommen? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Sie war wach, und es schien ihr, als zeigten die Leuchtzeiger ihres Weckers erst ein Uhr nachts.
    Im Alkoven war es heiß zum Ersticken, und es wurde eine schlechte Nacht. Als sie morgens erwachte, hatte sie, Gott weiß warum, eine Ahnung, daß irgend etwas Unerfreuliches passiert war, daß die Dinge nicht so waren, wie sie sein sollten, und sie fühlte sich schuldig, ohne genau zu wissen, warum.
    Der Himmel war etwas verhangener als an den Tagen vorher. Ein leichter Dunst hing über der Seine, auf der die Lastkähne sich langsam in Bewegung setzten.
    Sie holte die Mülltonnen vom Hof, stellte sie nebeneinander am Rand des Bürgersteiges auf und ging wieder hinein, um den Kaffee aufzusetzen. Bis das Wasser kochte, kämmte sie sich.
    Sie hatte nie viel Glück gehabt, aber sie beklagte sich nicht. Als sie Léliard geheiratet hatte, der damals Unteroffizier in der Armee war, wußte sie nicht, daß er Epileptiker war. Er hatte auch noch nicht angefangen zu trinken. Er war kein richtiger Mann. Dreimal war sie schwanger gewesen, und dreimal war ihr Kind tot zur Welt gekommen. Das letzte Mal wäre sie beinahe daran gestorben, und der Arzt hatte ihr geraten, es nicht noch einmal zu versuchen.
    Sie war über fünfzig, fühlte sich aber noch nicht alt. Wenn sie auch klein und mager war, ihre Mülltonnen konnte sie ganz gut schleppen.
    Sie seufzte, als sie daran dachte, daß die Wohnung wieder neu vermietet würde, und wie von Panik ergriffen verspürte sie plötzlich das Bedürfnis, auf der Stelle hinaufzugehen.
    Als sie im ersten Stock war, mußte sie noch einmal umkehren, weil sie ihren Schlüssel vergessen hatte. Sie stieg wieder hinauf, steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch und fragte sich, ob sie ihn gedankenabwesend schon einmal herumgedreht hatte oder ob sie am Abend zuvor vergessen hatte abzusperren. Jedenfalls schien es ihr, als gehe die Tür allzu leicht auf.
    Ohne nach links oder rechts zu blicken, ging sie durch den Salon, trat ins Schlafzimmer und spürte gleich, daß irgend etwas verändert war. Monsieur Bouvet lag noch im Bett, aber sie war sicher, daß er anders dalag, nicht mehr genau in der Mitte. Allein hatte er sich nicht bewegen können. Es war jemand dagewesen und hatte sich am Bett zu schaffen gemacht. Auf dem Boden lagen Federn verstreut, die entweder aus der Matratze oder den Kissen stammten. Sie wandte den Kopf und sah, daß die Siegel aufgebrochen waren.
    Die Schranktüren, die Schubladen waren wieder geschlossen worden.
    Jetzt plötzlich fühlte sie sich nicht mehr sicher. Sie lief schnell ins Treppenhaus und rief halblaut:
    »Madame Sardot! … Madame Sardot! …«
    Sie vergaß, daß es sechs Uhr morgens war und die Sardots noch schliefen.
    »Madame Sardot! … Ich bin es! … Kommen Sie doch! … Sie oder Ihr Mann …«
    Der Mann öffnete schließlich die Tür. Er hatte sich eine dunkle Hose übergezogen und war barfuß.
    »Jemand hat bei Monsieur Bouvet eingebrochen!«
    Dann kam die Frau, danach der Junge, der in seinem Schlafanzug viel größer aussah.
    »Jemand hat die Siegel aufgebrochen und das Bett durchwühlt!«
    Sie betraten die Wohnung, furchtsam und auf einmal viel respektvoller.
    »Wir müssen die Polizei benachrichtigen.«
    Im Haus hatte niemand Telefon.
    »Könnten nicht Sie gehen, Monsieur Sardot?«
    Er zog sich schnell an und setzte eine Mütze auf, während die Mutter vergebens versuchte, ihren Sohn ins Bett

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