Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
aussah. Das kam ihr wie eine Gotteslästerung vor, und sie wäre am liebsten hinausgegangen.
»Schauen Sie sich alle Möbelstücke genau an.«
»Es kommt mir so vor, als ob jemand an den Bildern war.«
Auch da war sie sich nicht ganz sicher. Sie wußte überhaupt nichts mehr. Die Sonne, die durch das Fenster hereinflutete, schien ihr mitten ins Gesicht, wie früher, als sie hier aufgeräumt hatte, und plötzlich brach sie in Schluchzen aus. Der Mann, der mit ihr gesprochen hatte, tätschelte ihr sanft die Schulter.
»Na, na! Kommen Sie, beruhigen Sie sich. Es ist doch schließlich nicht Ihre Schuld. Aber es ist sehr wichtig, daß Sie uns alles erzählen. Gehen Sie hinunter, trinken Sie etwas. Nachher stelle ich Ihnen dann noch ein paar Fragen.«
Es war wie ein Verrat, und dennoch war sie nicht in der Lage, noch länger in diesem Zimmer zu verweilen. An der Tür wies ein Polizist die Mieter an, nicht auf der Treppe stehenzubleiben. Die Tür der Sardots war nicht ganz zu. Sardot war sicher beim Frühstück, denn es war Zeit, daß er zur Arbeit ging.
Die alte Madame Ohrel war mit ihrem Rollstuhl bis zur Tür gefahren. Durch die Tür rief sie:
»Was ist denn los?«
»Ich weiß auch nicht mehr. Fragen Sie mich nicht. Ich bin fix und fertig. Wenn Sie wüßten, was die da drinnen alles anstellen!«
Dieser Schwachkopf von Ferdinand hatte die Gelegenheit genutzt, ins Bistro an der Ecke zu gehen und sich zu betrinken. Sicher erzählte er auch alle Neuigkeiten herum. Auf dem Gehweg standen Leute in Grüppchen beisammen. Der Polizist, der schon zwei Tage zuvor dagewesen war, hielt sie davon ab, ins Haus zu kommen.
Erst um neun kamen die ersten Journalisten, und danach ging es zu wie in einem Taubenschlag. Madame Jeanne gab es auf, den Überblick behalten zu wollen. Das war ja nicht mehr ihr Haus. Unbekannte gingen ein und aus, stiegen die Treppe hinauf, kamen wieder herunter und traten in ihre Loge, als sei das der reinste Marktplatz. In weniger als fünf Minuten ließ man dreimal vor ihrer Nase einen Magnesiumblitz hochgehen, um sie zu fotografieren. Was Ferdinand tat, kümmerte sie nicht mehr, und er nutzte die Gelegenheit weidlich aus.
Dennoch war das alles nur der Anfang. Beim Direktor der Kriminalpolizei waren eben die ersten telefonischen Berichte eingegangen. Er hatte Monsieur Beaupère rufen lassen und erwartete ihn bei offenem Fenster in seinem Büro.
Doch gerade als der Inspektor an die Tür klopfte, brachte man ein Telegramm mit dem Vermerk »Eilt«, und um es zu lesen, ließ er Monsieur Beaupère einen Augenblick warten.
Sehr wichtig Bestattung Bouvet alias Samuel Marsh aufschieben bis zu meiner Ankunft Stop Bringe Nachweis
Name Marsh ebenso falsch wie Bouvet Stop Ankomme Paris zwölf Uhr vierzig Stop Grüße
Joris Costermans
Das Telegramm kam aus Antwerpen, wo die Zeitung, die über Bouvet berichtet hatte, vermutlich erst sehr spät am Abend zuvor eingetroffen war.
»Kommen Sie herein, Monsieur Beaupère. Haben Sie Neuigkeiten?«
»Ich habe den Clochard gefunden.«
»Welchen Clochard?«
»Den Clochard, den die Concierge am Abend des Todesfalles vor dem Haus hat herumlungern sehen. Im Maubert-Viertel ist er unter dem Spitznamen ›Professor‹ bekannt.«
»Was hat er Ihnen denn erzählt?«
»Noch nichts. Als ich ihn fand, gestern abend gegen elf, war er völlig betrunken. Ich habe ihn festnehmen lassen. Ich wollte gerade zu ihm, als Sie mich rufen ließen.«
Er erwähnte nicht, daß er kaum geschlafen hatte; doch man sah es an seiner Haut, die noch grauer war als sonst, und an den dicken, schlaffen Tränensäcken unter seinen Augen.
4
D er Professor schlief noch, als Monsieur Beaupère ihn aus seiner Zelle holen wollte.
»Da ist jemand für dich! Du sollst Rockefeller beerben!« brüllte ihm einer seiner Mitgefangenen ins Ohr, als er den Mann hereinkommen sah, der sich mit den »Nachforschungen in Familienangelegenheiten« befaßte.
Der Alte blickte den Inspektor ohne Furcht, ohne Erstaunen an. Vielleicht erkannte er den, der ihn tags zuvor festgenommen hatte, gar nicht wieder. Er begann, nach seinen Schuhen zu suchen, was ungleich wichtiger war, denn was sich die Ärmsten der Armen untereinander am liebsten klauen, sind die Schuhe.
Endlich fand er sie wieder. Er zog sie langsam an, ohne jedoch ganz aus jenen geheimnisvollen Tiefen emporzutauchen, denen man ihn gerade so unvermittelt hatte entreißen wollen.
Ohne zu fragen, wohin es ging, folgte er dem Inspektor mit der
Weitere Kostenlose Bücher