Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
Paris, von dem, was so in der Welt passierte, von den Mietern und dem kleinen Vincent, den Sie auf der Treppe gesehen haben.«
»War er traurig, in sich gekehrt?«
»Nein, Madame. Er schien sehr glücklich zu sein.«
»Bekam er viele Briefe?«
»Er bekam nie welche …«
»Und … wie soll ich sagen … lebte er in ärmlichen Verhältnissen?«
Bei diesen Worten blickte sie sich unwillkürlich in der Loge um. Im Alkoven war Ferdinand gerade aufgestanden, und man sah ihn in Unterhosen zum Waschtisch gehen. Die Concierge zog schnell den Vorhang zu.
»Er hatte alles, was er brauchte. Er war glücklich. Morgens machte ich ihm sein Frühstück, das aß er dann im Bett und las dabei die Zeitung. Dann zog er sich an, kam herunter, sagte mir im Vorbeigehen guten Morgen und machte dann seinen Spaziergang. Während der Zeit räumte ich bei ihm auf. Er machte nicht viel Unordnung. Durchs Fenster konnte ich ihn meist bei den Bouquinisten am Kai stehen sehen. Er kannte sie alle und unterhielt sich gern mit ihnen.«
»Kaufte er seltene Bücher?« fragte der Mann.
»Bücher nicht. Nur Bilder, die nicht sehr teuer waren, so wie die, die es in meinem Dorf beim Kaufmann gab, als ich noch ein kleines Mädchen war. Meist ging er bis zum Boulevard Saint-Michel und kaufte sich etwas Aufschnitt. Dann kam er mit seinem Päckchen zurück, ging auf sein Zimmer und aß am Fenster.«
»Trank er Wein?«
»Keinen Wein, keinen Schnaps. Nur Wasser. Und Kaffee. Aber nie mehr als zwei Tassen pro Tag.«
»War er krank?«
»Er nahm Tabletten, und er hatte auch immer eine kleine Schachtel davon bei sich. Aber richtig krank war er eigentlich nie, außer vor zwei Jahren, als er eine Erkältung hatte und drei Tage im Bett bleiben mußte. Nach dem Mittagessen hielt er ein Schläfchen, im Sommer machte er dann noch einen Spaziergang, war aber fast immer um neun wieder zu Hause.«
»Bekam er Besuch?«
»Niemals.«
»Sind Sie sicher, daß er Ihnen nie von mir erzählt hat? Mein Vorname ist Nadine.«
»Nein, Madame.«
»Haben Sie bei seinen Sachen nie ein Foto mit einem kleinen Mädchen darauf gesehen?«
»Nein, Madame.«
»Sie haben aber doch sicher mal einen Blick auf seine Papiere geworfen, oder?«
»Was für Papiere?«
»Jeder hat doch Papiere, offizielle Schriftstücke, alte Briefe oder so was.«
»Er hatte keine.«
»War meine Mutter oben bei ihm?«
»Mit dem Polizeiinspektor, ja.«
»Dürften wir wohl auch hinaufgehen?«
Aber sicher! Madame Jeanne war aus einer Art Trotz heraus sogar ganz glücklich darüber, »ihnen« das Zimmer und den Toten zeigen zu können. Aber sie waren schiefgewickelt, wenn sie dachten, sie könnten irgend etwas anfassen.
Sie ging ihnen voraus die Treppe hinauf. Es war ein Ritual geworden. Dann ließ sie sie vor der Tür warten, bis sie die Kerzen angezündet hatte.
Sie führte sie schließlich durch den Salon, wo sie morgens Staub gewischt hatte, trat dann vor der Tür des Schlafzimmers zur Seite. Die drei Fliegen, die sie vergeblich zu fangen versucht hatte, waren immer noch da, und es roch schon etwas modrig. Die beiden sollten ruhig merken, daß sie sich dennoch hier wohl fühlte, daß sie keine Angst vor dem Toten hatte, daß sie gut miteinander auskamen.
»Er liegt ganz ruhig. Er lächelt.«
Ihr fiel auf, daß die beiden ihre Blicke über die Möbel schweifen ließen, deren Türen und Schubladen versiegelt waren.
»Ich bin ganz sicher, mein Vater hat versucht, mich wiederzufinden. Wenn ich denke, daß wir in derselben Stadt gewohnt haben!«
Madame Jeanne bemerkte, daß die junge Frau kein Kreuzzeichen mit dem Buchsbaumzweig machte. Sie schien gar nicht zu wissen, was sie damit anfangen sollte. Auch ihr Mann nicht. Mit ihrem Taschentuch betupfte sie sich unnötigerweise die Augen, auch auf die Gefahr hin, dabei ein paar von ihren langen, angeklebten Wimpern zu lassen.
»Wann die Beerdigung stattfindet, wissen Sie nicht?«
»Wir hatten alles für morgen vorbereitet, ein Begräbnis, wie es sich gehört, mit einer Feier in der Kirche, aber die Polizei war vorhin hier, und sie meinte, wir sollten noch zuwarten.«
Sie sahen sich wieder an. Sie konnten gar nicht schnell genug wieder hinauskommen in die Sonne und die frische Luft, aber gleichzeitig waren sie enttäuscht und zögerten, als warteten sie auf irgend etwas.
»Wie meine Mutter werde ich wohl auch zur Polizei gehen und dort meine Adresse angeben müssen.«
»Kann sein. Das ist Ihre Sache.«
»Sind Sie ganz sicher, daß er nicht
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