Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
nachmittags, wenn er seine kleine Runde gedreht hat, mit ihm unterhalten.
›Möchten Sie ihn sehen?‹
Sie hat den Kopf geschüttelt. Fast hätte sie angefangen zu weinen.
›Hat er wirklich nicht leiden müssen?‹
Dann hat sie noch eine Frage gestellt:
›Ist genug für das Begräbnis da?‹
Ich habe bejaht und ihr gesagt, daß Geld in seiner Tasche gewesen ist und ich schon eine Liste herumgebe, und sie hat in ihrer Handtasche nachgesehen, als wolle sie Geld herausholen.
Sie hat aber keine Zeit mehr gehabt, denn in dem Augenblick ist der Vampir gekommen.«
»Der wer?«
»Der Vampir. Sagt man denn nicht so? Die Frau, die mit dem Inspektor kam und die sicher die Möbel auseinandergenommen hätte, wenn sie nur einen Augenblick allein gewesen wäre.«
»Sind Sie sicher, daß Sie das alte Fräulein, von dem Sie eben erzählten, nie zuvor gesehen haben?«
»Ich kenne fast jeden hier im Viertel. Ich wohne hier seit vierzig Jahren. Ich kann mich aber nicht an sie erinnern.«
»Ist sie zu Fuß weggegangen?«
»In Pantoffeln. Ihre Pantoffeln sind mir aufgefallen. Es waren die gleichen wie meine hier.«
»Ging sie in Richtung Boulevard Saint-Michel?«
»Nein, in Richtung Pont de la Tournelle.«
»War sonst noch jemand hier?«
»Dann noch der Alte, aber der hat nicht mit mir gesprochen.«
Monsieur Beaupère flößte ihr Vertrauen ein. Er sah ganz und gar nicht aus wie ein Polizist, und er hatte sicher Enkelkinder. Man spürte, daß er sein Brot redlich und sauer verdiente. Er versuchte nicht, sie hinters Licht zu führen.
»Welcher Alte?«
»Sein Gesicht habe ich schon einmal irgendwo gesehen, so ein Clochard, wie sie immer hier herumlaufen. Das war auch gestern abend, aber später. Mein Mann war schon weg. Er stand direkt gegenüber, er lehnte dort an der Brüstung und starrte auf das Haus, vor allem auf die Fenster von Monsieur Bouvet. Ich habe ihn eine Zeitlang beobachtet und mich gefragt, ob er wohl herüberkommen würde.«
»Und das hat er nicht getan?«
»Nein. Er ist weggegangen. Dann habe ich ihn noch einmal an derselben Stelle gesehen mit einer Weinflasche und etwas zu essen. Glauben Sie, ich kann ihn hierbehalten?«
»Wen?«
»Monsieur Bouvet. Ich habe mich bemüht, mit den Mietern und den Nachbarn alles zu organisieren. Sie waren alle großzügig. Und dann auf einmal … Glauben Sie denn, daß er mit dieser Frau verheiratet war?«
»Ich weiß es nicht.«
»Jedenfalls hat er sie verlassen, nicht wahr? Er wird schon seine Gründe gehabt haben. Dann soll sie ihn auch nach seinem Tod in Ruhe lassen. Er liegt so gut da oben. Wollen Sie nicht einen Augenblick hinaufgehen?«
Monsieur Beaupère hatte keine Zeit. Er mußte noch das Bürgermeisteramt von Langeac anrufen, wo sich beim ersten Mal niemand gemeldet hatte. Er mußte auch noch andere Dinge überprüfen, langsam, sorgfältig, wie alles, was er tat. Dabei würde er seine Lakritzbonbons lutschen und traurig den Kopf schütteln.
»Wenn Sie das alte Fräulein oder den Clochard noch einmal sehen, versuchen Sie ihren Namen und ihre Adresse zu erfahren. Das könnte uns helfen.«
»Wollen Sie nicht eine Tasse Kaffee?«
»Danke. Ich nehme zwischen den Mahlzeiten nie etwas zu mir.«
Der Abend verlief ruhig für Madame Jeanne. Es kamen ein paar Mieter nach Hause. Sie hielt ein Schwätzchen mit ihnen und erzählte ihnen die Neuigkeiten vom Tage. Um neun ging sie ganz allein zu Monsieur Bouvet hinauf, so als wolle sie ihm guten Abend sagen. Sie hatte keine Angst davor, mit dem Toten allein zu sein. Sie tauchte den Buchsbaumzweig in das Weihwasser und schlug damit ein Kreuz. Dabei bewegte sie ihre Lippen, als spräche sie zu ihm.
Alles war in Ordnung. Es gelang ihr, eine der Fliegen zu fangen, die, die auf dem Türrahmen saß. Die anderen beiden jedoch fand sie nicht; die hatten sich sicher versteckt.
Sie schloß die Tür wieder ab und schaute auf einen Sprung bei den Sardots herein. Der Junge lag schon im Bett. Der Mann las die Zeitung, während die Frau Windeln wusch. Durch das offene Fenster sah man das tiefe Blau des nächtlichen Himmels. In ganz Paris standen die Fenster offen. In manchen Vierteln schliefen die Leute auf dem Balkon, und nachts hörte man überall das Pfeifen der Züge auf den Bahnhöfen.
»Sie hat jemand geheiratet, der mit alten Bildern handelt. Meiner Ansicht nach hat der sicher Tuberkulose. Sie hat zwar ein Taschentuch aus ihrer Handtasche gezogen, aber ich habe ihre Augen genau beobachtet, und ich könnte schwören,
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