Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
einmal finden? Seit dem Morgen, seit dem vorigen Tag, fürchtete sie sich vor dem, was sich da zusammenbraute, und wenn sie ihr eine kurze Atempause gewährten, lief sie hinauf, kam wieder herunter und stellte ihrerseits Fragen.
Nur an einer Winzigkeit hatte es gelegen! Der Zufall hatte einen jungen amerikanischen Studenten an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit auf den Kai geführt, und der Zufall hatte es auch gewollt, daß er gerade seinen Fotoapparat schußbereit in der Hand hielt. Hätten nicht die bunten Bilderbogen um Monsieur Bouvet herumgelegen und dem Ganzen einen so malerischen Anstrich verliehen, wäre es dem Studenten wahrscheinlich nie in den Sinn gekommen, eine Aufnahme zu machen.
Hätte er mehr Geld in der Tasche gehabt, wäre er wahrscheinlich nicht zu jener Nachmittagszeitung gegangen, um dort den Film zu verkaufen.
Dennoch traf ihn keine Schuld. Seit zwei Tagen war er unterwegs nach Rom, das er unbedingt sehen wollte, bevor er über den Atlantik nach Hause zurückkehrte. Er fuhr per Anhalter nach Süden und dachte nicht mehr an den kleinen alten Mann mit der hellen Jacke, der auf dem Bürgersteig vor den Türmen von Notre-Dame zusammengebrochen war.
Ohne jenes Foto, das niemand vorhersehen konnte und an das auch Monsieur Bouvet nie gedacht hätte, wären die Dinge ganz anders gelaufen, und alles wäre jetzt schon fast vergessen.
So hätte heute das Begräbnis stattgefunden. Monsieur Sardot hätte bei seiner Druckerei einen freien Vormittag beantragt, Madame Jeanne sich darum gekümmert, daß jemand sie ein paar Stunden in ihrer Loge vertrat.
Alle wären dabeigewesen, soweit das im August möglich war, die Mieter, die Nachbarn, die Händler des Viertels und die Bouquinisten der Kais.
Es hätte keine feierliche Aufbahrung gegeben, aber das Zimmer oben war doch zurechtgemacht. Madame Jeanne hatte sich zwei mehrarmige silberne Kerzenleuchter ausgeborgt und andere Kerzen gekauft. Auch der Kranz war schon bestellt.
Vielleicht hätte die Concierge auf dem Nachhauseweg die Männer noch auf ein Gläschen hereingebeten, wie es Brauch war.
Aber nein, da war kein Gewitter, der Himmel blieb strahlend blau und wolkenlos, während die Luft immer schwüler und drückender wurde. Nicht ein Lüftchen wehte. Auf den Rücken der Frauen, die in ihren Sommerkleidern vorübergingen, bildeten sich bisweilen kleine Schweißflecken.
Sie wurde noch nicht einmal benachrichtigt. Gegen ein Uhr, als einige der Polizisten gerade zum Essen gegangen waren, aber trotzdem noch genug da waren, um im Haus das Unterste zuoberst zu kehren, sah sie vor dem Haus ein abscheuliches Auto anhalten, dessen Anblick ihr durch die Vorhänge hindurch einen Schreck einjagte; es war eine Art dunkelgrüner Kastenwagen, dessen Bestimmung leicht zu erraten war.
Zwei große, bullige Kerle stiegen aus, holten eine schwere Tragbahre heraus und fragten den, der an der Türe Wache schob:
»Wie hoch?«
»Im Dritten.«
Sie hätte wenigstens gern gewußt, was sie ihm anzogen, wie sie ihn hinlegten, aber ihre Beine gaben nach, und sie mußte sich hinsetzen.
Einer der Polizisten wandte sich an den Jungen der Sardots, der mit verschlossenem und mürrischem Gesicht im Flur herumstand:
»Sag mal, junger Freund …«
»Ich bin nicht Ihr Freund.«
Man hörte sie wieder herunterkommen, polternd, als handelte es sich um ein Möbelstück oder ein Klavier, und sie stießen mit der Bahre gegen die Wände. Sie hatten die Leiche mit einem schäbigen schwarzen Tuch bedeckt, das sie sicher auch schon bei den anderen Toten benutzt hatten, die sie aus allen Ecken und Enden von Paris zusammenkarrten.
Sie öffnete die Tür einen Spalt und fragte Lucas:
»Wo bringen Sie ihn hin?«
»Zum Quai des Orfèvres, zum Erkennungsdienst. Da müssen noch Untersuchungen gemacht werden, die wir hier unmöglich durchführen können.«
»Und danach? Wann bringen Sie ihn zurück?«
Er wandte den Blick ab.
»Bringen Sie ihn etwa gar nicht zurück?«
»Von mir hängt das nicht ab.«
»Und das Begräbnis? Was wird denn damit?«
Die Türen des Kastenwagens fielen dröhnend zu, und der Motor wurde angelassen.
»Wahrscheinlich wird er vorerst gar nicht begraben werden können. In der Zwischenzeit wird er im Gerichtsmedizinischen Institut aufgebahrt.«
Sie las ja Zeitung und wußte, das war der neue Name des Leichenschauhauses. Sie wußte auch, daß es da nicht mehr so aussah wie früher, als sie einmal dort gewesen war, um eine Mieterin zu identifizieren, die
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