Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
Wohnungstür aufgebrochen, ohne sie im geringsten zu beschädigen, und nicht einen einzigen Fingerabdruck hinterlassen.
Er hatte die Goldstücke entdeckt, sie aber nicht mitgenommen. Hatte er vielleicht etwas anderes mitgenommen?
Eine Frage drängte sich besonders auf: Wollte er bei Monsieur René Bouvet aus Wimille einbrechen? Oder bei Samuel Marsh aus Santa Cruz, dem Besitzer der Ouagi-Minen?
»Mein lieber Lucas, ich fürchte, das Ende ist noch nicht abzusehen«, sagte der Direktor der Kriminalpolizei.
Für ihn war es ein Mehraufwand an Arbeit und auch an lästiger Verantwortung, und das in einem Augenblick, in dem die verschiedenen Abteilungen wegen der Ferien überlastet waren. Zwei Anwälte hatten sich schon eingeschaltet, der von Mrs. Marsh und jener Flame, den Monsieur Costermans aus Antwerpen mitgebracht hatte.
Lucas berichtete:
»Heute nachmittag werden die Zeitungen die ersten Fotos bringen. Die Concierge weiß nichts. In der Wohnung kein Indiz, kein Gegenstand, der uns einen Hinweis geben könnte. Die Garderobe, die Wäsche, die Schuhe, alles ist in Paris gekauft worden. Die Bilder stammen von den Kais oder den Bouquinisten auf dem linken Seineufer.
Monsieur Beaupère hat einen Clochard verhört, der anscheinend auch nichts weiß.«
Sie gingen zum Mittagessen, der eine nach Hause, der andere in die ›Brasserie Dauphine‹, zwei Schritte vom Quai des Orfèvres entfernt. Und Monsieur Beaupère, der darauf wartete, daß man ihm diesen Fall entzog, weil er für ihn zu bedeutend geworden war, beschäftigte sich auf seine eigene Art und Weise damit.
Er war ein fleißiger Arbeiter, der keinen Gesamtüberblick brauchte, noch weniger einen Einblick in die tieferen Zusammenhänge. Er hatte sein Metier von der Pike auf im Schweiße seines Angesichts – und seiner Füße – erlernt und dadurch in seiner Familie und seinem Viertel ein gewisses Ansehen errungen.
Von dem, was ihm der Clochard am Morgen erzählt hatte, war ihm nur eine Einzelheit im Gedächtnis geblieben, eine kleine greifbare Tatsache, und schon stand er auf der Place des Vosges vor dem Gebäude an der Ecke der Rue des Francs-Bourgeois.
Die Concierge war von anderem Schlag als die am Quai de la Tournelle. Sie trug eine Brille und ein schwarzes Seidenkleid, hatte schon bessere Tage gesehen und spielte die Hochmütige.
Er zeigte ihr seine Dienstmarke.
»Ich glaube nicht, daß wir hier irgend jemanden im Hause haben, der Sie interessieren könnte.«
»Kennen Sie einen gewissen Monsieur Bouvet?«
»Nie gehört.«
»Und einen Monsieur Marsh?«
»Wir haben einen Marchai im vierten Stock, der lebt schon seit fünfundzwanzig Jahren hier. Seine Tochter hat vorige Woche geheiratet.«
Wieder mußte die Zeitung mit dem von dem amerikanischen Studenten aufgenommenen Foto ihren Dienst tun.
»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«
Sie betrachtete ihn aufmerksam, setzte sogar eine andere Brille auf, schüttelte dann aber den Kopf.
»Haben Sie viele Mieter?«
»Zweiunddreißig. Die meisten sind in den Ferien.«
»Ist darunter auch eine alte Dame oder ein altes Fräulein, das nur Schwarz trägt?«
»Meinen Sie Madame Lair?«
»Ist sie in Paris?«
»Sie hat die Stadt seit drei Jahren nicht mehr verlassen.«
»Wer ist Madame Lair?«
»Eine sehr feine Dame. Sie stammt aus dem Norden und wohnt in der großen Wohnung links im ersten Stock. Sie ist seit fünfzehn Jahren im Haus.«
»Hat sie ein breites blasses Gesicht?«
»Sie ist ziemlich blaß, vor allem, wenn sie ihre Schmerzen hat.«
»Ist sie schlecht zu Fuß?«
»Ja, wie alle alten Frauen. Übrigens haben es nicht nur Frauen an den Füßen.«
Sie sagte das mit einem Blick auf die großen schwarzen Schuhe des Inspektors.
»Ist sie im Moment zu Hause?«
»Sie geht praktisch nie aus.«
»Wissen Sie, ob sie vorgestern nachmittag ausgegangen ist?«
»Ich überwache doch meine Mieter nicht!«
»Hat sie ein Mädchen?«
»Sie hat eine Köchin und ein Zimmermädchen. Madame Lair ist reich. Ihre Töchter sind verheiratet. Vor dem Krieg hatte sie auch einen Chauffeur.«
Monsieur Beaupère zögerte, dann jedoch entschloß er sich, seine Pflicht zu tun, ganz gleich, ob die Dame ihn unfreundlich empfangen würde oder nicht. Er ging zur Treppe und steckte sich dabei ein Lakritzbonbon in den Mund, so wie man einen Groschen in eine Sparbüchse steckt.
Die Treppe mit dem geschnitzten Holzgeländer machte einen düsteren Eindruck. Die hohe, sehr breite Wohnungstür, die wie in einem
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