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Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Titel: Das Begräbnis des Monsieur Bouvet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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beglaubigten Übersetzungen verschiedener Dokumente.«
    »Sagen Sie, Monsieur Costermans, wie hoch war Marshs Beteiligung an der Gesellschaft?«
    »Ungefähr zwei Millionen belgische Francs nach damaligem Wert. Rechnen Sie aus, wieviel das heute ist. Wenn die Angelegenheit vor Gericht kommt und wir unsere Bücher vorlegen, werden Sie feststellen, daß die Summe, die im Augenblick auf Marshs Namen festliegt, fünfzig Millionen weit übersteigt.«
    »Hat er nie versucht, sich in den Besitz dieses Geldes zu setzen, zumindest teilweise?«
    »Niemals.«
    »Als er noch im Kongo war, hat er da nicht veranlaßt, daß an seine Frau und seine Tochter regelmäßig Geld überwiesen wurde?«
    »Nicht regelmäßig. Er teilte uns jedesmal brieflich mit, daß diese oder jene Summe auf Mrs. Marshs Konto in Paris, London oder anderswo überwiesen werden sollte.«
    »So hat sie also seit 1933 von der Gesellschaft nichts mehr erhalten?«
    »Richtig.«
    »Haben Sie Samuel Marsh gut gekannt? Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werden wir ihn bis auf weiteres noch so nennen.«
    »Na gut, der Einfachheit halber. Ja, ich habe ihn gut gekannt. Ich habe ihn fünf Jahre lang mehrmals in der Woche gesehen, und ein paar Monate lebten wir in derselben Hütte.«
    »Was für ein Mensch war er?«
    »Er redete nicht viel.«
    »War er kräftig?«
    »Kräftiger, als sein Aussehen vermuten ließ. Er war muskulös, auch wenn er gar nicht danach aussah.«
    »War er traurig, melancholisch? Hatte er manchmal Depressionen?«
    »Er war weder traurig noch lustig, auch nicht deprimiert. Er brauchte niemanden. Wir haben manchmal ganze Abende zusammen verbracht, ohne ein Wort zu sagen.«
    »Auch Sie nicht?«
    »Er antwortete kaum, wenn ich etwas sagte.«
    »War er gebildet?«
    »Er hatte studiert.«
    »Was?«
    »Das weiß ich nicht. Er sprach mehrere Sprachen fließend.«
    »Welche?«
    »Französisch …«
    »Akzentfrei?«
    »Ohne jeden Akzent. Englisch natürlich auch. Ich war dabei, als er sich in Kenia mit Engländern unterhielt – wir lebten ja an der Grenze von Kenia-, und sie fragten ihn, ob er lange in London gelebt habe.«
    »Was antwortete er?«
    »Daß er England gut kenne. Er sprach auch Türkisch, das habe ich zufällig erfahren.«
    »Spanisch?«
    »Fließend.«
    »Las er viel?«
    »Ich habe ihn nie lesen sehen, außer Zeitungen.«
    »Und er sprach nie von seiner Familie, seiner Kindheit, seiner Schulzeit, von seinem Studium?«
    »Nein.«
    »Wovon sprach er denn?«
    »Ich habe es Ihnen schon gesagt: Er sprach überhaupt nicht. Die meiste Zeit verbrachte er mit den Negermädchen, von denen er einen ganzen Harem hatte. Die Schwarzen hatten ihm einen Spitznamen gegeben wegen seiner Unersättlichkeit und einer gewissen anatomischen Besonderheit, mit der andere angegeben hätten.«
    »Alles in allem haben Sie also keinerlei Ahnung, woher er stammte?«
    »So ist es, Monsieur.«
    »Sie haben nicht die leiseste Ahnung, aus welchem Land er kam?«
    »Nicht die leiseste, Monsieur. Ich nehme an, das wird jetzt doch leicht festzustellen sein. Deshalb fürchtete ich auch, man könnte ihn vorzeitig begraben, und habe Ihnen telegrafiert.«
    »Beabsichtigen Sie, einige Tage in Paris zu bleiben?«
    »Nur bis morgen. Cornelius hat wichtige Termine in Antwerpen, und ich muß mich ernsthaft um diese Angelegenheit hier kümmern. Der Direktor der Bank erwartet mich morgen.«
    »Sie sind also doch nicht so ganz sicher, korrekt gehandelt zu haben?«
    »Das ist Sache von Cornelius. Vor Gericht werden wir ja sehen. Ich jedenfalls mache mir da keine Sorgen.«
    »Können Sie mir sagen, wo Sie zu übernachten gedenken?«
    »Im ›Hôtel des Italiens‹, auf den Boulevards. Da steige ich immer ab.«
    Er hatte vergessen, daß sein Gegenüber schon einmal abgelehnt hatte, und hielt ihm das Zigarrenetui noch einmal hin. Dann schritt er hinaus, würdevoll, wichtig, Cornelius brav hintendrein.
    Der Direktor ging rasch ins Inspektorenbüro und pickte sich wahllos einen heraus.
    »Frei?«
    »Ja, Herr Direktor.«
    »Geh den beiden Männern nach, die gerade hinausgegangen sind. Sie sind sicher noch nicht unten. Auf jeden Fall fahren sie ins ›Hôtel des Italiens‹.«
    Er ging wieder in sein Büro. Er war in Gedanken versunken und schlechter Laune, weil zu dieser Jahreszeit fast niemand verfügbar war und er voraussah, daß der Tote vom Quai de la Tournelle ihm noch das Leben schwermachen würde.
    Er nahm den Telefonhörer ab und fragte:
    »Wer ist für den Fall Bouvet zuständig?«
    »Lucas.

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