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Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Titel: Das Begräbnis des Monsieur Bouvet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Ministerium zwei Flügel hatte, war alt. Er zog an dem Messingknopf und wartete. Er war nicht daran gewöhnt, Schritte von so weit her kommen zu hören. Es klang, als durchquerten sie erst eine ganze Zimmerflucht, ehe sie bei ihm ankamen.
    Genauso war es. Er blickte in zwei riesige Salons, dann in eine kaum weniger große Bibliothek. Die etwa vierzigjährige Frau, die ihm die Tür geöffnet hatte, trug ein Spitzenhäubchen auf dem Kopf.
    »Ist Madame Lair da?«
    »Sind Sie angemeldet?«
    »Nicht direkt …«
    »Madame Lair ist nicht zu sprechen.«
    Fast hätte er seinen Fuß zu spät vorgestreckt, und da er wußte, wie vornehme Leute auf ein solches Vorgehen reagieren, zog er mit Trauermiene wieder seine Dienstmarke hervor.
    »Ich bin von der Polizei.«
    »Wollen Sie sie persönlich sprechen?«
    Sie ließ ihn vor der Wohnungstür stehen, während sie ihn anmeldete, und eine ganze Weile verging, ehe sich die Tür wieder öffnete.
    »Madame hat gerade ihren Mittagsschlaf gemacht. Sie möchten bitte warten.«
    Sie forderte ihn nicht auf, sich zu setzen, und er wagte es nicht, sein Hinterteil auf einen dieser imponierenden gobelin- oder samtbezogenen Sessel zu plazieren. Er blieb stehen und fühlte sich, als er die Lichtreflexe auf den Möbeln und dem Kristall betrachtete, wie in einer Sakristei.
    So großen Reichtum hatte er bisher noch nie gesehen. In seinem Häuschen hätte man aus dieser Zimmerhöhe zwei Stockwerke gemacht. Die Wände waren hier nicht tapeziert, sondern mit einer geschnitzten Täfelung verkleidet, in die Ölbilder und bronzene Wandleuchter eingelassen waren. Er hörte drei Uhren gleichzeitig ticken, in jedem Zimmer eine. Das Schlafzimmer, in dem Madame Lair ihren Mittagsschlaf machte, mußte sehr weit weg liegen, die Wirtschaftsräume sicher noch weiter, denn kein Laut drang zu ihm.
    Auch kein Geräusch von der Straße, die man hier nie zu hören schien. Es war eine hermetisch abgeschlossene Welt, in der sogar die Sonne eine andere Farbe hatte und in der ihr Licht, das durch die Vorhänge sickerte, ernster und majestätischer aussah als anderswo.
    Er fuhr zusammen, als er hörte, wie sich zu seiner Linken eine Tür öffnete, die er vorher nicht bemerkt hatte, und eine alte Dame mit schlohweißem Haar vor ihm stand.
    Er begriff sofort, daß er sich geirrt hatte, daß dies nicht die Frau war, die in Pantoffeln zum Quai de la Tournelle gegangen war, um der Concierge ein Veilchensträußchen in die Hand zu drücken.
    »Sie wünschen mich zu sprechen?«
    Sie bat ihn, Platz zu nehmen, wies ihm aber nicht einen Sessel an, sondern einen Stuhl, der so zerbrechlich aussah, daß er Angst bekam und sich folgsam nur ganz vorsichtig darauf niederließ.
    »Sie sind von der Polizei?«
    Aus Furcht, für einen Betrüger gehalten zu werden, wollte er seine Marke noch einmal hervorziehen, aber durch ein Zeichen gab sie ihm zu verstehen, daß dies unnötig sei und sie ihm auch so glaube.
    »Ich bitte um Verzeihung, daß ich störe. Ich führe im Augenblick ziemlich schwierige Ermittlungen durch über einen Mann, der am Quai de la Tournelle ganz plötzlich gestorben ist und dessen Personalien wir festzustellen versuchen.«
    Ihr Gesichtsausdruck hatte sich vermutlich nicht verändert. Da er jedoch nicht wagte, ihr ins Gesicht zu schauen, machte er eine Entdeckung. Er blickte auf ihre Hände, die in sonderbaren weißen Handschuhen steckten, aus denen die Finger zur Hälfte heraussahen. Er bemerkte, daß sie ihre Hände plötzlich faltete und gegeneinanderpreßte.
    »Vielleicht haben Sie sein Foto in der Zeitung gesehen.«
    Er hob langsam seinen Blick und sah, daß sie verwirrt war und zögerte. Dann schaute er hinunter auf ihre Füße, die in schwarzen Satinpantoffeln steckten.
    »Ich bitte nochmals um Verzeihung. Aber Sie verstehen, ich muß meine Arbeit machen. Gestatten Sie mir, Ihnen das Foto zu zeigen. Ich muß auf einer Antwort bestehen.«
    Er stand auf und reichte ihr die Zeitung, die so gefaltet war, daß sie das Foto sehen konnte.
    »Er lebte in einem Haus am Quai de la Tournelle unter dem Namen René Bouvet.«
    Die Hand der alten Dame zitterte nicht, als sie die Zeitung ergriff. Es sah aus, als sei ihre Verwirrung vorüber.
    »Ich nehme an, Sie sind Inspektor?«
    »Ja, Madame. Ich kümmere mich besonders um Ermittlungen in Familienangelegenheiten.«
    »Und dies ist hier der Fall?«
    »Wahrscheinlich. Als dies Foto erschien, behauptete eine Dame, ihren Ehemann wiederzuerkennen, einen gewissen Samuel Marsh, der seit

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