Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
sagte.
»Beaupère.«
»Wie spät ist es, Monsieur Beaupère?«
Statt nach der Uhr auf dem Kamin zu blicken, zog er seine silberne Uhr aus der Tasche, und um seine Haltung wiederzuerlangen, tat er, als prüfe er nach, ob sie auch ging »Fünfundzwanzig Minuten nach zwei.«
»In fünf Minuten, um halb drei, wird mein Anwalt, Monsieur Guichard, hier sein.«
In die Angelegenheit waren schon zwei Rechtsanwälte verwickelt. Jetzt sollte also noch ein dritter hinzukommen.
»Können Sie sich denken, warum er kommt?«
Wieder schwieg er.
»Wie heißt der jetzige Direktor der Kriminalpolizei?«
»Monsieur Guillaume.«
»Gut! Wir, mein Anwalt und ich, müssen Monsieur Guillaume aufsuchen. Mein Anwalt hat sicher schon angerufen und einen Termin mit ihm vereinbart.«
Er sagte mit solcher Naivität, daß sie sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte:
»Sie kennen ihn, nicht wahr?«
»Wen?«
»Monsieur Bouvet.«
»Soweit ich nach dieser Fotografie und vor allem nach der Beschreibung der Narbe urteilen kann, ist er mein Bruder.«
Er rührte sich nicht. Ein Schauer der Freude, des Stolzes lief ihm über den Rücken, denn schließlich war er, Monsieur Beaupère, ganz allein, durch seine eigene Geschicklichkeit, durch seine eigenen Nachforschungen in diese Wohnung gelangt, die ihn anfangs so sehr eingeschüchtert hatte.
»Wußten Sie das?«
»Nein, Madame.«
»Also unter uns, jetzt sagen Sie mir mal, was Sie eigentlich wußten.«
Schon aus Gründen des Anstands konnte er doch nicht antworten: ›Gar nichts.‹
Er sagte:
»Jemand hat Monsieur Bouvet lange vor diesem Haus stehen sehen.«
»So? Sind Sie sicher? Ist das schon lange her?«
»Ich werde es nachprüfen. Mehrere Wochen wahrscheinlich.«
»Das ist alles?«
»Ich habe auch erfahren, daß Sie, sofort nachdem das Foto in der Zeitung erschien, zum Quai de la Tournelle gegangen sind.«
»Und es hat mich jemand gesehen?«
»Die Concierge. Sie haben doch mit ihr gesprochen.«
»Sie hat mich erkannt? Sie hat Ihnen meine Adresse gegeben?«
»Nein, aber …«
Er fühlte, daß er festsaß. Aber darauf kam es jetzt nicht mehr an. Jeden Augenblick würde der Anwalt läuten und seiner Qual ein Ende machen. Immerhin hatte er den richtigen Namen von René Bouvet herausgefunden: Lamblot.
»Sehen Sie, Monsieur … Wie war doch noch Ihr Name?«
»Beaupère.«
»Sehen Sie, Monsieur Beaupère, dies alles ist noch viel seltsamer, als Sie es sich vorstellen können, denn ich bin niemals am Quai de la Tournelle gewesen, und die Zeitung habe ich erst am Abend im Bett gelesen. Übrigens dachte ich, es sei lediglich eine Ähnlichkeit, denn ich habe meinen Bruder seit Jahren nicht mehr gesehen; das letzte Mal, da war er dreiundzwanzig. Erst als ich gestern von der Narbe hörte, begriff ich, daß er es wahrscheinlich doch war, und ich rief meinen Anwalt an. Heute morgen war er hier, und wir beschlossen …«
»Sie haben keine Veilchen hingebracht?« Er biß sich auf die Zunge. Dies war nicht die Frau, die an den Häusern entlangschleicht, nur um ein Veilchensträußchen zum Quai de la Tournelle zu bringen und es Madame Jeanne in die Hand zu drücken!
Es klingelte. Der Anwalt war pünktlich. Irgendwo gab es noch eine andere alte Frau, die schlecht zu Fuß war …
6
G ing man im Dachgeschoß des Justizpalastes von der Kriminalpolizei zum Erkennungsdienst, war einem fast, als gehe man in einem großen Restaurant vom Speisesaal in die Küche. Auch hier war übrigens wie in den Küchen großer Restaurants Zutritt verboten. Man konnte in Hemdsärmeln arbeiten und sich im Polizeijargon unterhalten.
Für die Leute von der Kriminalpolizei, die ein Stockwerk tiefer ihre Büros hatten, war der Tote vom Quai de la Tournelle mit all den Problemen und Ermittlungen, die mit ihm zusammenhingen, eine »lästige Nervensäge«.
Für die aus dem Dachgeschoß war er ein »Leckerbissen«, denn er verschaffte ihnen die Gelegenheit, eine ganze Menge fipseliger Arbeiten zu machen, manche spitzfindig, fast künstlerisch, auf die sie so scharf waren. In dem weißen Haus hatten sich die Spezialisten so richtig ausgetobt, sie hatten sich dort aber nicht so wohlgefühlt, weil sie nicht alle Geräte bei sich und auch nicht genug Platz gehabt hatten.
»Seid ihr mit meinem toten Schätzchen noch nicht bald fertig?« fragte ab und zu der Kerl vom Kastenwagen, der Monsieur Bouvet ins Gerichtsmedizinische Institut fahren sollte.
Dabei warf er jedesmal einen ungeduldigen Blick auf ihn, weil es heiß
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