Das Beil von Wandsbek
schon fertig sein – keine sehr edle Sorte, nicht so mehlig, wie Tom es liebte, aber doch nicht ganz die Futterkartoffel, als welche er sie beschimpft, als Frau Barfey sie heimbrachte.
Geesche Barfey hatte ihre Arbeit am Waschfaß früh um sieben begonnen und die Nachmittagsstunden über das Gewaschene auf dem Trockenboden gehängt. Mit einstündiger Mittagspause, da Frau Rechnungsrat Pilger innerhalb eines Tages fertig zu werden wünschte. Seit ihr Tom die Kocharbeit abnahm und die Gasgesellschaft einen verständnisvollen Techniker gesandt, um einen niedrigen Gasherd bei Barfeys aufzustellen, kam sie mit der Arbeit einigermaßen zuwege, ohne sich auszupumpen wie in früheren Jahren, wo sie ohne schwarzen Kaffee den Arbeitstag kaum durchgehalten hätte. Im Dritten Reiche waren ihre Einkünfte sehr geschrumpft, einerseits weil die neuen Hausfrauen, welche an die Stelle der auswandernden jüdischen traten, früher die Hausarbeit selber gemacht hatten, auch die am Waschfaß, und daher anspruchsvollere, härtere Arbeitgeberinnen darstellten; anderseits aber schrumpften alle Löhne, seit man Kanonen statt Butter vom Volke verlangte, und die Kunst des Einkaufens und Einteilens, das Jonglieren mit Pfennigen und Fünfern, verlangte nach des Tages Arbeit noch eine Anstrengung, der die Nerven ungern nachgaben. Wer vor dem Waschbrett steht, kann nicht auch noch vor den Ladentischen warten, bis er bedient wird; es dauerte einige Zeit, bis sich die Krämer daran gewöhnten, daß die Frau Barfey einen Stuhl oder eine leere Kiste heranzog, wenn sie Bücklinge einhandelte, Petroleum, Brennspiritus oder Margarine. Aber alles kam darauf an, daß Tom nicht schutzlos zurückblieb oder in eine Anstalt eingeliefert wurde; daher verstand es Geesche Barfey, ihre Notwendigkeiten ohne lautes Wort oder heftige Szenen,aber unnachgiebig durchzusetzen. Kam sie heim, abgekämpft und ruhebedürftig, so hatte ihr Tom ein Töpfchen Kaffee bereit, drei Rundstücke und Pflaumenmus, und sie durfte das Gefühl haben, daß Küche und Schlafzimmer nicht nur äußerlich hell und warm waren, sondern auch von innen her.
Das Auftragen von Tellern und Schüsseln, das Legen von Tischtuch und Bestecken ward ihr leichter als ihrem Sohne, und darum tat sie es, nachdem sie geruht und ihm dabei zwei Strümpfe gestopft, was man liegend und ausruhend auch besorgen kann. Während sie nun den Tisch bereitete und erfuhr, welch ein Festmahl ihnen heute bevorstünde, bemerkte sie, das passe ja gut zu Hamburgs Ehrentag und daß der Albert wegen seiner Wünschelrutengeschichte heute dem Führer vorgestellt worden sei. »Am neunten November«, bemerkte Tom trocken. Er kniff nur ein wenig die Augen zu, zeigte nicht, daß in ihm irgend etwas vorging und daß er es für richtig hielt, einen Entschluß zu fassen und auszuführen. Aber da die Nachricht der Mutter möglicherweise die Freude an dem Leckerbissen verschlug, die sie seit Jahr und Tag nicht gekostet hatte, hielt er den Mitteilungsdrang zurück, den er so viele Tage schon hatte stauen müssen. Frau Barfey schmauste denn auch mit einem Behagen, das ihr viel zu früh gealtertes Gesicht nahezu verklärte. Je einen Flügel, ein Pfötchen, den halben Magen, Hals, Herz und Kopf schlug sie vor für morgen zu belassen, als Zukost zu den großen Graupen, die es morgen geben würde. Dabei berichtete sie, daß Stine bei ihrer früheren Herrschaft die Kunst gelernt hatte, die Haut des Gänsehalses mit koscherem Füllsel zu einer Wurst zu stopfen. Deshalb fehlte sie in Barfeys Topfe. Tom war nicht einverstanden. Er schlug vor, heute Fettlebe zu machen und alles radikal wegzuputzen, am Jahrestag der armen Republik, die als so junges Kind hatte hingehen müssen, knapp vierzehn Jahre alt. »Wenn sie mehr Mut gehabt hätte, säße sie heute noch oben«, sagte er, indem er mit einem Küchenmesser und einem Hammer den Gänseschädel spaltete, um das Gehirn bloßzulegen. »Aber wer nicht hören will, muß fühlen ... tja, und zu denken, daß der Albert Teetjen heute die Ehre gehabt hat. Es wissen nicht viele, warum, Mutter.«
»Wegen der Wünschelrute«, entgegnete Frau Barfey und steckteeine Backpflaume aus ihrem Kompottschüsselchen in den Mund. Tom lächelte. »Nee, Mutter, mit der Wünschelrute – da muß man schon ein anderes Werkzeug anwenden. Das verdankt der Albert nicht seiner Haselgerte, sondern seinem Beil. Wer nämlich damals, Mitte September, den Henker von Magdeburg in Fuhlsbüttel vertreten hat, Mutter, das war unser
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