Das Beil von Wandsbek
Werftgelände stehen lassen – alle spürten offenbar den Drang, so schnell wie möglich wieder heimzukommen, an den warmen Ofen. »Tja, min Söhn, da hatten wir nun unsern großen Tag«, sagte er, indem er Gas gab, »sobald wird das ja nicht wieder vorkommen.« – »Werden wir in der Zeitung stehen?« fragte Teetjen. »Zuverlässig«, erwiderte Footh, »wenn auch ohne Was und Warum.« – »Na denn man tau«, nickte Albert befriedigt. »Wie ich höre, hat dir mein Beil auch einen anständigen Happen zugespielt.« Footh zog die Brauen zusammen. »Dein Beil?« fragte er. »Gott ja, wenn du’s so nennen willst ... Eine große Reederei wird man ja nur durchs Beil seines Freundes Schlächtermeister in Wandsbek.« Und Teetjen ahnte, es wäre vielleicht klüger gewesen, diese Anspielung zu unterlassen. So fragte er denn, wohin er seinem Freund eine Martinsgans schicken dürfe, oder ob der sie lieber gleich mitnehmen wolle, wenn er ihn jetzt in der Wagnerstraße ablieferte. Herr Footh protestierte, aber er nahm sie schließlich, wohl eingepackt, von Stine entgegen, die ihrerseits Albert auf diesen Gedanken gebracht. Gutes Wetter auf der ganzen Linie, sagte er, indem er sich verabschiedete, aller Weizen steht in Blüte.
»Das Gänseklein deines Freundes Footh essen aber nicht wir, das wandert rauf zu Barfeys«, sagte Stine. »Es wäre ja schade gewesen, solch einem Junggesellenhaushalt auch die Flügel, den Magen, den Kopf und die Beine zu liefern. Nur die Leber liegt drinne. Die macht ihm seine Köchin morgen zum Frühstück. Und dir brat ich deine heute abend, PG. Teetjen. War der Führer nett zu dir? Wie hat er denn ausgesehen, so ganz von der Nähe? Wie in der Wochenschau, so stolz und fein?« Albert zog sich die Stiefel aus, dachte, er müsse sofort mit Mundhalten anfangen,und bestätigte: Ja, Adolf Hitler habe stolz und fein ausgesehen, aber wie’n richtiger Mensch, nicht so lackiert wie früher die Generäle und jetzt manche von den Bonzen, die das Dritte Reich unbeliebt machten bei gewissen Teilen des werktätigen Volkes. »Den Tag, Stineken, den werd ich nicht vergessen, da ich meinem Führer ins Auge blicken durfte und er ins meine.« – »Durfte er wirklich?« lachte Stine, »was schnackst du denn für Zeug, Albert?« – »Ach ja«, gab er zu und ließ sich aufs Sofa fallen, »ich red schon so, wie’s in der Zeitung steht. Und nun einen heißen Kaffee, Stine, und einen Schuß Rum hinein, damit ich mich nicht verkühle.«
Bei Barfeys oben brannte die Petrollampe bereits seit vier Uhr. Tom hatte eine Arbeit angenommen, die ihm und der Auftraggeberin Kopf und Kragen kosten konnte, und er gab sich ihr inbrünstig hin. Frau Pastor Langhammer von der Bekenntniskirche Eimsbüttel hatte ihm einen Bericht zur Vervielfältigung gegeben, den ihr Gatte aus dem Lager herausgeschmuggelt: Wie ein bekannter jüdischer Künstler und Graphiker zum Selbstmord getrieben worden war, dazu könne ein Christ nicht schweigen. Die sehr klein gekritzelte Niederschrift, voll empörender und widerwärtiger Einzelheiten, sollte an vierzig ausgewählte Adressen geschickt und zu diesem Zweck vervielfältigt werden, als der letzte Versuch, die Gewissen und die Einsicht jener Männer aus der ehemals führenden Schicht zu erregen, die Pastor Langhammer von früher her als redlichen Mann und Kriegsteilnehmer achteten. »Wenn das nichts hilft«, hatte Frau Pastor Langhammer in ihrer holsteinischen Sprechweise resigniert, »dann bleibt nur der Weg, den die Kommunisten gehen wollen, sagt mein Mann. Auch sie können ja nichts ohne Zustimmung des Herrn. Wer vermöchte gegen den Stachel zu löken.« Ihre Augen tränten dabei, ihre Stimme bebte – sie selbst eine Pfarrerstochter, die im vergangenen Kriege einen Bruder verloren. »Wär ja auch gar kein Unglück, nöch, wenn wir’s mal ganz anders rum probieren müßten, Frau Pastor«, hatte Tom ein wenig naseweis, wie seine Mutter meinte, der Besucherin Trost zugesprochen. Jetzt machte er Schluß für heute, morgen früh bei Sonnenlicht ging es besser –schonsamer für seine Sehkraft, und wandte sich zum Kochherd, um das herrliche Geschenk Stines in eine Mahlzeit zu verwandeln, das Gänseklein, welches mit einem Stück Suppenfleisch und Grünzeug ausgekocht werden mußte zu einer Brühe, an die man noch wochenlang dachte. Die Nudeln, welche Stine dazu geliefert, mußten besonders zubereitet, hernach aber von der Brühe durchzogen werden. Wenn die Mutter heimkam, mußten auch die Schälkartoffeln
Weitere Kostenlose Bücher