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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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war, jene zu Zeiten des jungen Goethe oder des Knaben Gauß, diese in den Reifejahren der Denker Freud und Einstein, hatten sich die herrschenden Klassen, winzige Gruppen geschlagener Generäle und beutegieriger Wirtschaftler, mit den Vertretern der Besitzer von Großgütern, Bodenschätzen, Fabrikanlagen,Geld- und Meinungsinstituten zusammengetan, ohne zu begreifen, daß man das Rad der Geschichte zwar um gewisse Zacken zurückdrehen konnte, aber nicht so, daß ganze Umläufe und Umschwünge zunichte wurden. Unter verschiedenen Namen versuchte man Wirtschaftsformen und Staatsordnungen des mausetoten Mittelalters schmuckhaft zu galvanisieren und unter Verwendung moderner Geistesschöpfungen freiheitlicher Art den arbeitenden Massen überzustülpen, indem man ihnen wahrhaftig einredete, dies seien die Träume und Verwirklichungen, denen ihre Väter seit jeher nachhingen. In manchen Ländern ohne die Mitwirkung der christlich genannten Kirchen, in anderen unter ihrer Mitwirkung, verkündeten charakterkranke Abkömmlinge des Kleinbürgertums, begabt zu Anreißerschaft, Volksaufmärschen und Aneignung fremder Schöpfungen, neue Evangelien, die auf Länderraub, Massenmord und gigantische Ausbeutung hinausliefen. Das Geistige dem Primat einer Seele unterordnend, von dem bisher nur die Religionen gezehrt hatten und auch diese nur, weil siebzig Vorstellungen vom Dasein nach dem Tode notwendig schienen, um die Bewohner Europas von der Beobachtung und Erkenntnis der einfachsten Vorgänge ihres wirtschaftlichen Alltags abzuhalten. Seit der Entdeckung der Dampfkraft, der Elektrizität und der Radiowellen schien dieses Unterfangen hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Um so gespenstischer wirkte die cäsarische Miene, mit der diese krebsgängige Fuge der kapitalistischen Weltordnung gespielt und gehört wurde. Angebetet vor allem von denen, deren Unmut beschwichtigt und übertüncht werden sollte, indem man ihnen, je nach der geographischen Lage, die Sozialisten zum Raube hinwarf, Freimaurer und Gesundbeter, Ordensgeistliche oder Aufbauschulen, Christen oder Juden. Da fünf Sechstel der damals bekannten Erdoberfläche nach kapitalistischen Antrieben bewirtschaftet wurden und diese in der Seele des Menschen wohl vorbereitet und eingebettet lagen, durfte man sich nicht wundern, wenn der kurzköpfige Homo sapiens als Masse geneigt war, den Sieg seiner Unterdrücker anzuerkennen und im voraus oder Vorschuß zu beleihen, in den Hafenstädten des Mittelmeers, der iberischen Halbinseln, des atlantischen Frankreichs und der Ost- oder Nordsee. Vorläufigfreilich sammelten sich kleine Gruppen der Besiegten und Überlebenden zur Auswanderung, irgendwohin, zunächst in Genua, Barcelona, Paris, Amsterdam, Hamburg, während die Einrichtungen des Völkerbundes und die großen Kontinente jenseits Europas voller Abneigung auf die Emigranten blickten, selbst wenn es denen gelungen war, bescheidene Teile der Vermögen mit sich zu führen, welche die Arbeit oder Klugheit vergangener Geschlechter aufgespeichert hatte. Die Welt lag in den Wehen einer neuen Zeit, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Es mußte alles erst noch viel dicker kommen.
    Es regnete, goß in Strömen. Alle Leute machten die Nähe des Meeres dafür verantwortlich und stimmten in die Klagen ein, die Hamburgs Dichter über die Wetterlaunen der schönen Göttin Hammonia während der letzten Jahrhunderte nicht verschwiegen hatten. Wasserstiefel, Ölmantel und Südwester, so behaupteten sie, sollten eigentlich von jedem Hamburger Baby mit zur Welt gebracht werden. Die grauen Wolkenschichten, die das Stadtgebiet überwanderten oder in den Wintermonaten es überbauten, drückten auf die Stimmung der Menschen oder erregten sie zu Trotz und Widerspruch.
    Herr Koldewey saß in seinem »Vogelbauer« und regierte. Mit der Morgenpost war ein Brief eingelaufen, eine Zeitungsnachricht bestätigend, die aus alter Gewohnheit gleichsam Veränderungen und Berufungen in der Gelehrtenwelt verzeichnete. Ein Studienfreund aus alten Friedenstagen, Mitarbeiter an gewissen Nietzschestudien, Professor Walter Rohme aus Zürich, war nach Boston berufen worden, um dort europäische Psychologie, sein Fach, gegen amerikanische Einflüsse verteidigen zu helfen, und er kündigte an, daß er im Frühling auf der Durchreise bei seinem Freund Pastor Langhammer absteigen, eine Woche in Hamburg bleiben werde und sich darauf freue, wie schon früher, mit seiner Frau in Koldeweys gläsernem Turm oder neben dem Barlach

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