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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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zu sitzen. Professor Rohme, als nüchterner und erfahrener Experimentalpsychologe, war schon während des Weltkrieges in Zürich als Privatdozent und erst recht seit dem Jahre 33 den Quellen der Gerüchtemacherei und der menschlichen Leichtgläubigkeit öffentlich nachgegangen, hatte einige sehr bemerkte Aufsätze inder »Neuen Zürcher Zeitung« darüber veröffentlicht und im Jahre 34 eine Schrift über Greuelpropaganda angekündigt, die nur leider nie erschienen war. Jetzt konnte ihn Koldewey, und er freute sich darauf, fragen, warum eigentlich nicht. Denn wenn sich auch die Mehrzahl dieser Greuel als wahr erwiesen hatte, blieb doch die propagandistische Verwertung eine Tatsache, und für Psychologen sollte der Satz: »Was als wahr wirken soll, darf nicht wahr sein«, doch eine gute, vielschichtige Bedeutung haben. Nun, das brachte Freuden für später. Heute herrschte die Gegenwart, und Heinrich Koldewey trug ihr Rechnung. Fünf Zugänge, drei Entlassungen, sechs Überweisungen ins Spital. Sein langes Gesicht mit den vorgewölbten Augen wiegte sich hin und her, als er zu diesem letzten Punkte einen Hinweis auf den Bericht fand, den der Anstaltsarzt, Dr. Laberdan, zu diesem Krankheitswachstum im Dezember gegeben. Koldewey lächelte milde, alles verstehend und sich über alles mokierend, weil Dr. Laberdan, der sonderbare Idealist der Wünschelrute, nicht merkte, wie die Sträflinge seinen Eifer und Aberglauben ausnutzten. Aus seinem triumphierenden Referat ging hervor, es müsse, kein seltener Fall, in den Tiefen der Erde der Durchbruch einer schädlichen, Erdmagnetismus leitenden Strömung erfolgt sein, eines Arms vielleicht der unterirdischen Urelbe, und verursacht haben, daß Zellen gesundheitsschädliche Lagerstätten erhalten hätten, die bislang auch wünschelrutenmäßig völlig einwandfrei gestanden. Daher die plötzlichen rheumatisch reißenden Erkrankungen. Und er empfahl, da man bauliche Veränderungen im Fuhlsbütteler Gefängnis doch kaum vornehmen könne, von seinem Lehrer, dem Freiherrn von Pogge in Dachau, eine seiner patentierten Entstrahlungsvorrichtungen zu erwerben oder besser in einem Kellerraum eine Entstrahlungsstation zu schaffen, welche die gesamte Umgebung der Strafanstalt im Umkreis von Kilometern strahlungsfrei, das heißt hygienisch einwandfrei machen würde, nebenbei aber auch, wie es in Dachau geschehen, alle Gewitter in weitem Umkreis von Fuhlsbüttel weghalten. Wie schnell die Leute heraushatten, was man aus dem Puschel oder Spleen des Herrn Doktors Vorteilhaftes für sich ernten konnte! Lazarett befreite von der Arbeit, vor allem aber von der Langeweile, der bösartigenEinsamkeit, verbesserte die Kost, brachte neue Gesichter, neue Gespräche. Dafür lohnte es schon, rheumatische Schmerzen zu ertragen, die man selber hervorbrachte, weil die Seele ja allmächtig war, zum mindesten in eingesperrten Menschen. Und Herr Koldewey schrieb mit seinem gelben amerikanischen Füllhalter auf das Gesuch Randbemerkungen des Inhalts, daß Dr. Laberdan, im Interesse der Wissenschaft, bei seinem einstigen Meister die leihweise Überlassung einer solchen Entstrahlungsanlage beantragen möge; im Etat des Strafvollzuges sei ein solcher Posten bestimmt nicht vorgesehen. Der Doktor trieb es in letzter Zeit ein wenig arg. Hatte er doch um die Erlaubnis gekämpft und obgesiegt, auf dem Gelände der Anstalt mit der Ausbildung von Rutengängern zu beginnen, solange das Wetter es irgend gestatte, und selbst den Park rund um die Villa Koldeweys mit seinen seltsamen Spaziergängern nicht verschont. Da er die Unterstützung der Reichswehr, des Oberstleutnant Lintze zum Beispiel, genoß, hatte Koldewey vor seinem Eifer kapitulieren müssen; diesmal aber unterstützte ihn der Finanzausschuß des Senats, und das würde den Doktor schon in seine Schranken zurückweisen. Herrn Lintze hatte Koldewey seit dem Besuch des Führers nicht gesehen; Käte Neumeier aber berichtete bald danach, es müßten sich bei diesem Besuch Vorfälle ereignet haben, die dem doch gewiß nicht empfindsamen Offizier aufs Merkwürdigste zugesetzt hatten, so stark, daß er im Familienkreis darüber kaum gesprochen, sondern sich am gleichen Nachmittag ins Bett hatte begeben müssen und mehrere Tage brauchte, bevor er seinen alltäglichen Gleichmut wieder fand. Preußische Offiziere, dachte Herr Koldewey, waren eben dem Umgang mit genialen Künstlernaturen seit dem Tode Friedrich II. nicht mehr ausgesetzt worden; es konnte schon sein, daß Herr

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