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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Albert und niemand sonst.«
    Frau Barfey saß in ihrer Sofaecke und schaute ihren Sohn aus zusammengekniffenen Augen prüfend an, dann nahm sie den Pflaumenkern aus dem Munde, legte ihn an den Rand ihres Tellers und sagte: »Mach keine Witze.«
    »Das ist kein Witz, Mutter, ich hab’s von jemand, der ihn dabei gesehen hat und wiedererkannt, Mutter, wenn er schon eine Maske trug.« – »Tom«, schrie Frau Barfey, »das verbitt ich mir.« Aber der Sohn, auf seinem breiten Hocker: »Das ist so wahr, wie wir beide sitzen. Ich hab gesehen, wie sie ihn erkannte, unsere Zeugin. Ich will nicht sagen, wer es war, aber wenn ich’s ihr glaube, Mutter?«
    »Du hast deinen Haß, Tom, du bist mir nicht genug für so was.« – »An eine Gans wird ja kein Beil gelegt, Mutter, die konnten wir ruhig verschnabulieren. Aber Rind und Schwein und Hammel – lieber nicht mehr.« Frau Barfey schnupfte, dann wischte sie sich die Augen. »Die arme Stine«, schluckte sie, »wie kommt die bloß über so was weg.« – »Wenn sie’s weiß« meinte Tom, indem er den Gänseschädel in einen Abfalleimer warf, für die Katzen oder Hunde. »Jedenfalls ist das nicht ganz einfach, Mutter, wegen der Hygiene, die bei solch einem Schlächter ja eine Rolle spielt. Die Nachbarschaft, die sein Fleisch kauft, müßte eigentlich wissen, was er mit seinen Beilen sonst noch anfängt. Setzt sie sich darüber weg, ist’s ja ihre Sache. Wir haben unsere Pflicht getan – der Volksgemeinschaft gegenüber. Manch einer hat ja gute Nerven.« – »Was geht’s uns an«, ächzte Frau Barfey. – »Vielleicht gar nichts, vielleicht viel. Heute abend gibt’s Musik und die Petersens sind nicht zu Hause. Wenn wir runterkommen wollen, hat die Olga gesagt ...« – »Ich nicht, Junge, ich geh schlafen, auf so ’ne Nachricht hin zumal. Einen Henker im Haus, wer kann da gut ruhen.« – »Wir, Mutter«, sagte Tom Barfey. »Habenwir ihn angestiftet? Und wenn ihm der Reichsstatthalter dafür die Hand drückt und der Hitler seine Bekanntschaft sucht? Leg dich man ruhig hin, Mutter, wir haben die Welt nicht eingerichtet.« Frau Barfey saß in ihrer Sofaecke und schüttelte den Kopf. »Das fehlte noch«, nickte sie, »wer nur den lieben Gott läßt walten, und bauet auf ihn alle Zeit, den wird er wunderbar erhalten, in aller Not und Traurigkeit, singen sie in der Kirche.« – »Wir werden’s nötig haben«, grinste Tom Barfey, »morgen muß ich zeitig raus, den Schrieb für die Langhammersche fertigstellen. Aber es ist ja noch früh am Abend, und ein bissel Musik tut immer wohl. Ob sie sich das gedacht haben, als sie uns den Hitler auf den Buckel setzten?«
    »Wer weiß, worauf das hinaus will«, seufzte Frau Barfey. »Es ist noch nicht aller Tage Abend.« – »Das walte Gott«, lächelte Tom und knöpfte sich einen sauberen Kragen um.

Viertes Buch
Die Bücher des toten Herrn Mengers

Erstes Kapitel
Die die Kosten tragen
    Die Bewohner Deutschlands teilten sich damals in einige einander so ungleiche Gruppen, daß man gut daran getan hätte, Begriffe wie Volkstum oder Staatsbürgerschaft in bezug auf sie zu vermeiden. Unter dem Mantel gemeinsamer Sprache, Abstammung und Vergangenheit, seit einigen Jahrtausenden im gleichen Raum hingelebt, stellten sie ein gesellschaftliches Gebilde dar von solcher Zerrissenheit, daß nur Stücke des Meeresbodens oder der Mondoberfläche ein zureichendes Bild davon gegeben hätten – durch keine Verwitterung abgeschwächte, wüste Schroffen, von schmalen Spitzen überragte, dumpfe Riesenblöcke. Aus ihren Klüften krochen oder schwammen scheußliche Gestalten längst verdrängter und überwundener Massentriebe, seelische Abkömmlinge der Steinzeit, recht fremdartig für die Menschen dieses Buches, die sich anschicken, Weihnachten 1937 zu feiern und die Geburt eines Heilands dadurch zu verewigen, der nach der Meinung der Frommen und Gläubigen die Sünden der Welt auf sich genommen hatte und gesühnt. In dem Gebiete, welches der Elbfluß entwässerte, den die Alten Eridanus genannt haben mögen, den Bernsteinfluß, und der von den Grenzen des tschechischen Volkstums stracks nach Norden in die Nordsee fließt, herrschten Begriffe, die sich weder mit Leben noch mit Sterben der Menschen zurechtfanden, und Tatsachen, verstanden nicht einmal von denjenigen, die sie geschaffen hatten und ausnützten. Um die Ausgleichung altertümlicher Gegensätze hintanzuhalten, die westlich des Rheins und östlich des Njemen bereits einmal versucht worden

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