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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Hitler den Waffenröcken Nüsse zu knacken gab, die ihnen ein Bismarck oder Bülow nicht zugemutet hätte. All das klang in ihm auf, indes er den Tageseingang weiter einsah, zwei telephonische Rückfragen machte, von Annette angerufen wurde und nach seiner Morgenzigarre zu verlangen begann, der anderen vormittäglichen, die er sich aber erst nach dem zweiten Frühstück zugestand; während die bis dahin noch vor ihm lag, verbreitete das Trommeln des Regensauf dem Fensterbrett um ihn eine Stimmung von Geborgensein und Heimlichkeit. Nichts ist gewaltiger als der Mensch, dachte er, indes er die Lampe auf seinem Schreibtisch anknipste, um halb zehn Uhr vormittags eigentlich ein Skandal; ob er nun die Macht des Blitzes abschwächt und einsperrt oder die Schläge des Zitteraals zur Verwendbarkeit steigert. Ein Bericht des Rentmeisters; die Rechnung über die vier Särge war vom Finanzausschuß beanstandet worden; warum man zu ihrer Begleichung die Bibliothek des hingerichteten Mengers noch nicht beschlagnahmt und zum Verkauf gestellt habe. Diese Bücher waren nur zum kleinsten Teil in dem möblierten Zimmer aufbewahrt, welches der Verurteilte bewohnt; zum größeren Teil sollten sie sich in der Wohnung seiner Mutter befinden, der verwitweten Ottilie Sarah Mengers, Rothenbaumchaussee 79; dort würde die SA. sie abholen, sichten, von Sachverständigen schätzen lassen und den Erlös an die Staatskasse abführen. Die Kosten der Haft und des Strafvollzuges, soweit sie auf diesen Mengers entfielen, konnten damit gedeckt werden. Die Direktion möge sich mit der zuständigen SA.-Führung ins Benehmen setzen.
    Herrn Koldewey gefiel diese Ökonomie nicht sehr. Es ging gegen den guten Geschmack, einer Familie die Kosten für jene Prozedur aufzubürden, durch die man ihr ein Mitglied geraubt. Aber das war üblich in allen Kulturstaaten. Die Logik der Rechtspflege widersetzte sich zartfühlenden Betrachtungen und machte vielmehr nach alter Weise die ganze Sippe verantwortlich für die Taten eines ihrer Mitglieder; an solchen Überresten merkte man das. Aus der Praxis und selbst der Denkweise war ein solcher Brauch ja schon verdunstet; erst das braune Regime hatte damit wieder zu arbeiten angehoben. Aber nicht in der Sparte Hinrichtungskosten; da hatten schon seine Vorläufer, wie gesagt, gleicherart gehandelt. Herr Koldewey hob das Telephon ab: »Wiepke«, sprach er zu dem Rentmeister, »es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben, setzen Sie sich doch mit dem SA.-Sturm in Verbindung, der die Rothenbaumchaussee regiert.« Und wie um sich für den unangenehmen Eindruck zu entschädigen, den seine eigene Anweisung in ihm hinterließ, rief er alsbald Käte Neumeier an und bat sie um ihren nächsten freien Abend. Seine Annettehatte Weihnachtspläne, die sie auch mit ihr durchschnacken wollte. Und dann endlich kam das Frühstück und danach die Zigarre. Ja, Annette hatte jetzt viel Zeit und sich dem Hause wieder sehr zugewandt. Seit Herr Footh aus Berlin zurückgekehrt, hatte sie erst zweimal mit ihm Tee getrunken. Da war etwas gelöst worden, offenbar zu beiderseitiger Zufriedenheit. Nur Gott sieht ins Herz, und seine Röntgenaugen sind offenbar mit Rätselvollerem beschäftigt als mit den Gemütsfalten einer jungen Frau, Tochter einer hamburgischen Beamtenfamilie. Aber soviel stand fest: von Annette schien ein Druck gewichen, seit sie mit Herrn Footh auseinander war. Warum sie sich dann erst mit ihm eingelassen, wußte nur wiederum derselbe Gott, von dem das deutsche Lied behauptete, er lasse das Eisen wachsen, wolle aber keine Knechte. Vielleicht vermochte Frau Neumeier einem alten Freund und Vater dreier Töchter beim Klären der Welträtsel zu Hilfe zu kommen. Auf alle Fälle lief Annette Koldewey jetzt die Treppen im Hause herauf und hinab, Liedchen auf den Lippen. Herr Koldewey vermeinte einmal einen ihrer Texte erlauscht zu haben, einen überaus munteren Rhythmus, auf einem uralten Schlager basierend, den die Kinder nur von ihrer Großmutter hatten lernen können: »Lott’ ist tot, Lott’ ist tot, Jule liegt im Sterben«, worauf es sich weiterhin auf »erben« reimte, nur daß Annette statt Lott’ Footh zu singen schien, statt Julie aber, und das erstaunte Herrn Koldewey noch mehr, das Wort Jude. Ja, darüber konnte Frau Neumeier gewiß bessere Auskunft erlangen als ein altmodischer Papa. Ohnehin verband sie mit dem ganzen Hause eine Freundschaft, deren Wärme, spaßte Herr Koldewey, selbst von den Treppen gespürt werden

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