Das Beil von Wandsbek
mußte, die sie erstieg. Hätte dieses Haus einen Sohn besessen – diese grauhaarige Brünette hätte ihn auf schönste Weise ins Mysterium der Liebe einführen können, als mütterliche Geliebte – ein idealer Fall, wie ihn der Weise von Sils Maria für begabte Jünglinge erträumte, der sich aber fast nie verwirklichte. Schade, daß er, Koldewey, es in jungen Jahren nicht so gut getroffen. So hatte er warten müssen, bis ihm knapp vor den Dreißigern seine Käte begegnete ...Auch weiterhin goß es in Strömen, nur daß die Wolken einige Tage später kulissenartige Form annahmen und mit gelblichen Rändern den dunkelgrauen Untergrund änderten. In der mehrzimmrigen Wohnung von Frau Ottilie Mengers erscholl Hämmern, jenes charakteristische Geräusch, das mit dem Schließen von Kistendeckeln verbunden ist und sich in dieser Zeit in einer gar nicht kleinen Anzahl bürgerlicher Wohnungen hören ließ – in einer viel zu kleinen, wie spätere Ereignisse erwiesen. Frau Mengers saß, dunkel gekleidet, in einem altväterischen Stuhl mit Backenlehnen, einem sogenannten Ohrenstuhl, eine Dame der bürgerlichen Gesellschaft, die vor wenigen Monaten von jedermann als gut erhaltene Fünfzigerin angesprochen worden wäre. Jetzt sah sie älter aus, viel älter, aber weder der junge Doktor Kley noch Herr Rabbiner Plaut verweilten bei ihrem Aussehen. Das dichte Gezweige eines blattlosen Baumes vor den Fenstern verdunkelte die Luft in diesem Wohnraum, der schlecht geheizt war diesen Vormittag und keinen gemütlichen Aufenthalt bot. Dennoch saßen die drei Menschen nahe beieinander, und zwischen ihnen spannte sich die dunkle Luft wie in einem sehr konzentrierten Gedankenaustausch zwischen Schicksalsgenossen. Der junge Dr. Kley schüttelte seinen kahlen Kopf: »Gott ist kein Gegenstand mehr für uns, Herr Doktor. Die Steinzeit kannte Tiergötter, Totems. Wir mit unserer Seele aus Elektronen ...« Er ließ seine Stimme schweben. Dr. Plaut, ein Mann in mittleren Jahren, mit Spitzbart und braunen Augen, runzelte die Brauen: »Sie können den Ratschluß des Ewigen im Menschen nicht hinwegzudiskutieren hoffen.« – »Aber hinwegzuexperimentieren, wenn es so weit sein wird.«
Außerhalb des Zimmers schienen Männer in schweren Stiefeln hin- und herzugehen. »Mir sagen Sie beide nichts, meine Herren. Ich bin nur eine Mutter, der man das Junge gekillt hat. – Ohne Größe, wie jene Mutter Rathenau, die vor Gericht für den Mörder Techow beinahe Verzeihung äußerte.«
»Wir sind arme Wesen, verehrte Frau Mengers, all unsere Erkenntnisquellen stammen aus Zeiten, die wegwollten von jener Steinzeit ...«
»Und die unsere rollt dorthin zurück«, warf die Dame entschiedenein. Dr. Kley legte begütigend die Hand auf den Arm des Rabbiners, der wie er selber seinen schwarzen Überzieher anbehalten hatte. »Wir haben die Triebe des Homo sapiens außer Acht gelassen. Geben Sie zu, keine unserer Religionen hat sie zurechtstutzen können.«
»Noch seinem Drang nach Ausbeutung. Leider beschreibt uns schon unsere Bibel, wie ein Herrenvolk auftritt.«
»Aber Frau Mengers«, rief entsetzt der Rabbiner, »das ist doch nicht so gemeint.«
»Gewiß nicht«, nickte Dr. Kley. »Aber um Lebensraum ging es damals doch. Um Land, um Viehweide und feste Städte. Und dabei war die Erde damals noch weniger besetzt als heute.«
»Ändern Sie die Natur des Menschen und seine Geschichte«, rief Dr. Plaut.
»Ändern wir statt dessen«, rief Frau Mengers, »so sagte mein Walter immer, lieber sein Bewußtsein. Alle Kämpfe der Geschichte waren nach Marx Klassenkämpfe. Und Herrenklassen, fügte er hinzu, hätten sich nie gescheut, den Abgrund zu bewegen, aufzurufen.«
Die drei Menschen schwiegen. Dr. Plaut lauschte hinaus, auf die Bewegung jenseits der Zimmertür, aber die beiden andern, der Sohn, dessen Vater sich erschossen, und die Mutter, der man ihr Kind getötet, blickten gleichsam nach innen, fühlten dem Einklang nach, der sich in ihren Schicksalen regte. Wenn ein so feines Mädel wie die dunkle Thyra Koldewey, dachte es in Herrn Kley bitter, gehorsam eine Freundschaft aufkündigte, die seit Tanzstundenzeit bestand, eine richtige Jugendliebe ... Irgend etwas davon mochte auch auf Dr. Plaut hinüber wirken: »Und wir Juden?« fragte er halblaut.
»Haben nie, sagte mein Walter, den Part erkannt, auf dem wir stehen, noch den, auf welchen wir gehören. Sie wissen, daß er das nicht geographisch meinte.«
»Verallgemeinern Sie doch nicht, liebe Frau
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