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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Deutschlands und Europas abkonterfeit war, vielleicht die der Welt. Herr Koldewey hatte ein besonders hoch notiertes Wertpapier verkaufen lassen, die Aktie einer Akkumulatorenfabrik, um den Schätzungspreis für die Bibliothek Mengers zu erreichen, den Scheck von Karl August Lintze eingeschlossen. Er zog außerdem noch Texte von Reden hinzu, die der neue Apostel der Deutschen bei verschiedenen Gelegenheiten gehalten – er fraß sich durch die Materie, wie er sagte. Käte Neumeier aber wurde ihm mittlerweile zu einer Hausgenossin, einem Bedürfnis, einer geistigen Ehefrau. Ihr bräunliches, vom Winter gebleichtes Gesicht, ihre freundlichen Augen, das graue Haar und die schönen, kräftigen Hände mußten da sein, damit er den Einsturz seiner gesamten Haltung ertrug, soweit er sie seit demdreißigsten Januar 33 eingenommen. Er hatte weggesehen, ganz einfach. Geschichtskenntnis und Bildung hatten ihn gelehrt, man dürfe nicht wählerisch und wehleidig sein, wenn neue große Dinge entstehen sollten; so reizend die Liebe war, so wenig war sie mit ihren Gewohnheiten, Absonderungen, Folgen geeignet, nach rein ästhetischen Gesichtspunkten beurteilt zu werden. Wo etwas Neues ward, ja, wo überhaupt ein Zeugungsprozeß sich abspielte, ging es unappetitlich zu. Das wußten nicht nur die Hebammen. Deutschlands Größe war einen Zeugungsakt wert, einen jahrelangen, und wenn im Konzentrationslager nebenan Schreie erschollen, Teppiche geklopft wurden, Särge angefordert, so war dies nicht sein, Heinrich Koldeweys Bereich. Ähnlich hatte er sich auch mit dem Tode Manfreds abgefunden, dieses Jungen, der ihm den fehlenden Sohn hatte ersetzen sollen, worauf seine Annette so positiv und willfährig eingegangen. Seit dem siebzehnten Jahrhundert hatte der Deutsche den Genialismus im Leibe, der im achtzehnten und neunzehnten zu solcher Blüte ausgeschlagen, durch soviel große Männer bestätigt worden war. Und von Friedrich dem Ersten, Nietzsche, trug Dr. Koldewey zwei Sprüche in seiner Gesamtausgabe parat, die ihm recht gaben. Der eine aus »Fröhliche Wissenschaft«, der andere aus »Menschliches, Allzumenschliches«. – »Wer wird etwas Großes erreichen, wenn er nicht die Kraft und den Willen in sich fühlt, große Schmerzen zuzufügen? Das Leidenkönnen ist das wenigste; darin bringen es schwache Frauen und selbst Sklaven oft zur Meisterschaft. Aber nicht an innerer Not und Unsicherheit zugrunde gehen, wenn man großes Leid zufügt, den Schrei dieses Leides hört – das ist groß, das gehört zur Größe.« Das hatte der junge, gesunde Nietzsche geschrieben, der Basler Extraordinarius, noch fern von all den Schicksalsprüfungen, die für ihn im Schoße der Götter bereitlagen. Und Heinrich Koldewey hatte sich ein Beispiel daran genommen, obwohl er nicht aufhörte und es auch nicht wollte, ein humaner Mensch zu sein. Kam jetzt der zweite dieser Aphorismen für ihn in Betracht, den er bislang den Gegnern des Regimes, des Genies A. H. zugute gehalten? »Wer nicht begriffen hat, daß dieser große Mann nicht nur gefordert, sondern auch, der allgemeinen Wohlfahrt wegen, bekämpft werden muß, ist gewißnoch ein großes Kind – oder selber ein großer Mann.« Daß man einen Dilettanten an die Spitze des Reiches stellte, das ließ sich vertreten; schon oft war von Nichtfachleuten, Unabgestempelten, das Heil ausgegangen in schwierigeren Endkrisen als denen der Weimarer Republik. Unter solchen Umständen schluckte man auch Entgleisungen, wie der Nazi-Antisemitismus eine war, von dem Nietzsche, anläßlich Richard Wagners, das harte Wort gefunden: »Er kondeszendiert zu allem, was ich verachte, selbst zum Antisemitismus.« Man brauchte nicht nietzschischer zu sein als jene Frau, in deren Schutz das letzte Jahrzehnt dieses erschütternden Lebens abgelaufen, die Schwester, die Nietzsche selber »das Lama« getauft hatte, weil dieses Tier große Lasten auf sich nahm, ohne zusammenzubrechen. Aber ein Dilettant und ein Wahnsinniger, das war ein Unterschied, nicht wahr? Wie denn nun, wenn die Weltuntergangsphantasien des unglücklichen Schreber in seinem Geistesverwandten Adolf Hitler praktische Bedeutung annahmen? Wenn es ihm wirklich nicht darauf ankam, wie in konservativen Kreisen gemunkelt wurde, viele Millionen junger Deutscher zu opfern, um das Reich für zweihundertfünfzig Millionen Menschen aufnahmefähig zu machen? Wenn er sich wirklich darauf vorbereitete, das westliche Rußland, zumindest die Ukraine mit Waffengewalt zu erobern?

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