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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Zentralheizung, den Aschenbecher mit dem Stummel unappetitlicherweise auf dem Nachttisch, Heinrich Koldewey dachte, über Großsein und Leidzufügen sei leicht zu philosophieren, wenn man dabei in einer Kammer saß, selbst einer ärmlichen, und nur der Prozession seiner Gedanken zuzuschauen und zu folgen habe, nicht dem realen Leben. Auf dem Marktplatz bei einem geschlagenen Droschkengaul war es zwar nicht richtig, in Tränen auszubrechen, aber ebensowenig richtig war es, wilden Ideenzauber aus der geistigen Laterna magica laufen zu lassen. Das Richtige lag in der Mitte – weder grausam sein, noch heulerig durchs Leben gehen, wie seine Annette, die sich einen Footh nahm, um einen Manfred zu vergessen, oder besser, um seinen Verlust auf normale Größe zurückzuführen, einen Jugendkameraden zu verlieren, nicht aber auch gleichzeitig den einzigen Mann im Bett. Mit Annette mußte er über seinen Plan reden, die Neumeierische zu ehelichen; um seinen großen, geliebten Friedrich war immer das Funkeln der Ungesundheit zu spüren,auch als er noch ganz gesund war. Sohn eines Pastors und Prinzenerziehers, seine Großmutter hieß Erdmute Krause, auch darauf war er stolz. Komisch, worauf die großen Leute alles stolz waren ... Ob er mal Enkel haben würde, die sich rühmen würden, ihr Großvater habe Heinrich Koldewey geheißen?
    Sonderbarerweise begann Oberstleutnant Lintze das Gespräch, als sie eine Woche später in seiner Ecke zusammensaßen, ebenfalls mit einer Bemerkung, die seine Abkunft betraf. »Wir sind Pastorensöhne, wir Lintzes«, sagte er, »und Sie mögen lachen oder nicht, wir können unsere gute Erziehung nicht hinter uns werfen. Uns ist Selbstbeherrschung eingeprügelt worden oder sonstwie beigebracht; mag sein, daß wir sie deshalb überschätzen.« – »Ich glaube nicht, daß man sie überschätzen kann«, bemerkte Herr Koldewey. »Den Beitrag der Pastorensöhne zur deutschen Kultur sollte mal einer untersuchen; es dürfte etwas dabei herauskommen. Lessing war einer, unser Nietzsche, der emigrierte Werner Hegemann, von dem es heißt, er sei gerade in New York gestorben, und wer nicht noch alles. Und er betrachtete behaglich die Zigarre, die ihm Herr Lintze offeriert – eine fast schwarze Brasil mit grünem Ring, die ihn lustigerweise an sein Nachthemd erinnerte. »Ich hatte nun ein Erlebnis, vor ein paar Wochen, das mich umwarf – an dem Tage, da der Führer uns hier beehrte. Ich sah, wie sich der Mann benahm, als es darauf ankam, einer unwillkommenen Nachricht gegenüber Haltung zu bewahren. Ich stand dabei, wie er den Plan unseres bedauernswerten Tiefbauamtes mit Zähnen und Klauen zerfetzte, weil ihm die Fakten gegen den Strich gingen, die er darstellte, wie er dem Referenten beinah an die Gurgel gesprungen wäre, einen Tobsuchtsanfall hinlegte, Herr, daß es eine Art hatte. Nun durften wir ja Gerede darüber genug genießen – Bockmist, den kein vernünftiger Mensch glauben konnte, daß er sich auf den Fußboden werfe und in den Teppich beiße, so daß aus der Reichskanzlei die Redensart gedrungen war, der Führer fresse wieder Teppich. Nun, meine Herren, das war gut und schön, solange es in der zivilistischen Welt ablief. Jetzt aber ...« – »Ich bin kein Herr«, sagte Käte Neumeier, »wenn meine Haare auch kurz geschnitten sind.« Allelächelten. Oberstleutnant Lintze verneigte sich gegen sie, und dann fuhr er fort: »Nun ist uns aus Berlin ein Gerücht begegnet, das wir nicht wahrhaben wollten, deswegen fegte mich der Chef kurzerhand hin und zurück. Es scheint aber zu stimmen. Es sieht so aus, als wolle die Nazigruppe in der Armee mit denjenigen Befehlshabern reinen Tisch machen, die sich verständlicherweise auf unsere alte Tradition stützen, dem neuen Wesen nur den beschränkten Raum einräumen, den die Armee allein verträgt. Einen Generalsschub inszenieren, lauter Anbeter unseres Genies in die Spitzenämter bringen und dann einen zweiten Coup à la Rheinlandbesetzung starten. Herrn Hitler als obersten Kriegsherrn über Heer und Flotte, Volk und Vaterland. Was würden Sie dazu sagen?« Herr Koldewey hob seine rundgewölbten Augendeckel so weit, als überhaupt möglich war: »Und dann einen Coup starten, sagten Sie, Herr Oberstleutnant? Das Risiko eines Krieges auf sich nehmen?« Und man sah, daß er seine Hand mit der äußersten Besonnenheit über den Aschenbecher hielt, um den weißen Kegel nicht neben dem Gefäß abzustreifen. Herrn Lintzes kleiner Mund blieb zu einem feinen Bogen

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