Das Beil von Wandsbek
... Sie konnten mit den neuen Rädern ein letztesmal weithin ins Freie fahren, denn daß man sie würde verschärfen müssen, wenn Kamerad Footh nicht wieder einsprang, sah er deutlich an die Wand geschrieben. Stine ihrerseits hätte nur unter äußerstem Zwang darauf verzichtet, den unrentablen Laden für ein paar Tage zu schließen und im heimischen Nest unterzukriechen. Aber bevor sie das alles mit Albert besprechen konnte, ereignete sich etwas Unerwartetes. In der Dämmerung betrat Frau Pastor Langhammer den Laden, schwarz gekleidet, wie meist, aber ohne das weiße Krägelchen, das sie sonst trug. Verlangte etwas Billiges, gehacktes Fleisch zum falschen Hasen, zog sich einen Schemel heran, einen von den weißen, frisch abgeseiften, setzte sich nieder und betrachtete Stine mit dringlichen Blicken und aus einem merkwürdig veränderten, gleichsam versteinerten Gesicht. Und während Stine das Verlangte abwog und einpackte, sie hatten zum Glück noch welches, gut gekühlt im Eisschrank, begann sie zu sprechen. Stine habe wohl schon erfahren, daß der Pastor nicht mehr unter den Lebenden weilte. Stine riß die Lider hoch und hielt den Mundleicht offen: nein, sie hatte es noch nicht gehört, das war aber schrecklich. Ja, er war im Lager gestorben, man hatte ihr auch nichts Näheres mitgeteilt, der Sarg war gestern angekommen und mußte sofort beerdigt werden. Ohne viel Sang und Klang, so lautete der Befehl. Nun wünschten einige Männer und Frauen der Gemeinde ihrem Seelenhirten und Vorkämpfer eine Totenfeier zu veranstalten. Da jetzt Ostern kam, beabsichtigten sie, Bachs Johannespassion aufzuführen, und zwar mit Platten, mit Hilfe des Grammophons. Da ja zurzeit die Aufführung geistlicher Chorwerke auf Schwierigkeiten stieß. Einer ihrer Freunde stellte sein Radiogrammophon zur Verfügung; ein anderer Herr, ein Israelit, der dem Pastor persönlich nahegestanden, besaß unter den Plattenwerken, die er grade nach Palästina mitnahm, die Johannespassion, eine englische Aufnahme, einen wahren Schatz. Nun fehlte nur noch ein Raum, möglichst im Erdgeschoß, mehrere Zimmer hintereinander, Laden und Wohnung von Herrn Teetjen würde sich wohl dafür eignen, hatte Tom Barfey vorgeschlagen, welcher der Feier auch gern beigewohnt hätte; so kam sie nun zu Frau Stine, um zu hören, ob das wohl ginge. Stine mußte die Hand aufs Herz legen, so stark schlug es ihr. Raum hatten sie wohl, antwortete sie, aber Sitze nicht, wie sich Frau Pastor überzeugen könnte. Aber sie war ihr so dankbar für das Vertrauen, sagte sie. Sie würde bestimmt mit ihrem Mann sprechen, vielleicht ließen sich Stühle von Lehmkes drüben ausleihen. Am Karfreitag gab es da bestimmt keinen Betrieb. Es geschah ja kein Verbrechen, sagte Frau Pastor, indem sie ihr Taschentuch zu den Augen führte. Die Passion des Heilands vorzuführen, blieb ja erlaubt. Den besonderen Anlaß durfte man wohl verschweigen. Was aber über Herrn Teetjen geraunt wurde, wollte sie nicht für wahr nehmen. Der Verewigte hatte von Frau Stine immer eine hohe Meinung gehabt. Die Brüdergemeinde, der sie einst angehörte, bürgte für ihre gute evangelische Gesinnung und ihr, der Pastorin, lag daran, Frau Stine das nahezubringen. Die Frage der Sitze blieb freilich schwierig. Lehmke durfte keinen Verdacht schöpfen, die Besucher der Feier nicht gefährden. Über den kleinen Barfey konnten sie miteinander in Verbindung bleiben und Herrn Teetjens Entscheid dort niederlegen und abholen.
Albert, als er heimkam und Stines aufgeregten Bericht anhörte, lachte kurz und verwundert und schüttelte den Kopf. Es wäre ihm recht gewesen, den Leuten in der Straße zu zeigen, daß eine Menge Menschen seine gemiedene Schwelle betrat. Aber von Lehmkes Stühle pumpen, das ging nicht. Die waren zu schlau, schickten sicher die Dörte herüber, kriegten heraus, was geschah, und das bekam den Christen möglicherweise schlecht. Aber da gab es doch Luftschutzkeller mit vielen Sitzen, beispielsweise im Haus der Nasvog. Einen solchen Apparat konnte man überall anschließen, und warum sollte er, Albert, beim Vorsitzenden nicht ein gutes Wort einlegen, wenn das nötig war? Stine sollte dem Tom diesen Rat übermitteln.
Auch die Nasvog schien dem Tom ein gefährlicher Raum. Aber einen großen Luftschutzkeller mit vielen Sitzgelegenheiten für den Vormittag des stillen Freitags trieb einer von Langhammers Anhängern sicherlich auf. In den großen Bürohäusern der Innenstadt hielt das bestimmt nicht schwer.
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