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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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zu, sicher achtzig oder neunzig, zwischen dreizehn und fünfzehn alt. »Was für prächtiges Gewächs«, bewunderte FrauClaudia Rohme, »die Rasse in Deutschland hat sich sehr verbessert.« – »Körperlich schon«, meinte Frau Käte Koldewey, »wie sie den Lebenskampf bestehen werden, den freien Wettbewerb mit der ganzen Welt, das wird sich erst erweisen müssen.« – »Es heißt, sie dürfen jetzt bei Fallschirmmanövern dabei sein und selbst mitmachen wie die jungen Russen«, berichtete Annette, als die Musik schon gedämpft verwehte, die schmalen Gestalten in Reih und Glied aber vom Rücken her im Dunst verschwammen. »Hätte die Weimarer Republik mit diesem Ehrgeist gerechnet, statt mit dem Lehrgeist, sie lebte wohl heute noch«, meinte Professor Rohme. Heinrich Koldewey schüttelte lachend den Kopf, sagte aber nur: »Nun laßt uns an ein Frühstück denken, da kommt schon jemand die Treppe herauf.«
    Ja, es kam jemand die Treppe herauf, es klang wie ein kleines Gefolge von mehreren Personen, den Schritten nach, dann öffnete sich die Tür und hereingeführt wurden eine Frau im Wachstuchmantel und ein Mann in einer Lederjacke, eingeleitet von Ingebottel und beschlossen von Thyra, beide Rutenbüsche von Weidenkätzchen und Erlen in den Händen, hochgeschwungen. Annette aber, strahlenden Gesichts – und auch in den Mienen der anderen spiegelte sich höchstes Behagen über die gelungene Stegreifkomödie – Annette hielt ihre beiden Fäuste wie eine Trompete hintereinander an den Mund und sang oder blies mit falscher Stimme die Wagnersche Fanfare des Einzugs der Sänger auf die Wartburg. Und indes Stine, halb verschämt und unsicher, halb erheitert und zum Mitmachen bereit, sich in dem übermütigen Kreise umblickte und ihre Blicke mit verlangendem Ausdruck auf der grünblauen Blumenschüssel ruhen ließ, ihrer Farbe, hielt Albert in den Händen, wie eine Ehrengabe, jenen Gegenstand mit langem Stiel und eingehülltem Blatt, den er so gern losgeworden wäre. Hatten da doch die jungen Damen, die von ihren Kavalieren in Autos herangebracht wurden, indes Stine und er ziemlich ratlos auf den beiden Prellsteinen rechts und links des Villentores saßen, in kurzem, leicht beschwipstem Hin und Her erfragt, was Albert da auf den Knien hielt, in die Hände geklatscht und ihn beschworen, diesen Gegenstand, diese Holzaxt zu einem Spaß herzuleihen und dabei mitzuwirken: sie dem ZuchthausdirektorKoldewey, ihrem Vater, zur Hochzeit zu schenken, für sein städtisches Museum und gleich mit heraufzukommen. Der Volksgenosse müsse aber so nett sein und bestätigen, dies sei das Beil, mit welchem im Vorjahr die vier Fuhlsbütteler Hinrichtungen vollzogen wurden, sonst käme das Geschenk ganz und gar um Salz und Schmalz. Und indes Stine einen Ausruf der Verwunderung unterdrückend, eilig behauptete, dies verhalte sich so, dies sei das Beil von Wandsbek, rechnete sich Albert geschwind aus, daß die Damen für den Spaß sicher ein paar Taler springen ließen, verlangte trocken 12 Mark 50 als Selbstkosten und erhielt sie feierlichst zugesagt, sobald arme Stenotypistinnen morgen früh ihr Gehalt empfangen würden. »Vielleicht aber legt’s Annette auf die Hochzeitskosten um und spendiert’s aus der Wirtschaftskasse. Dann brauch ich bei Ihnen keine Schulden zu machen«, hatte Thyra, die auf Albert überhaupt den gesetzteren Eindruck machte, diesen Teil der Gespräche beendet, die Namen des Ehepaares erbeten und es zu einer Tasse Frühstückskaffee eingeladen. So geschah es denn, daß die Teetjens Herrn und Frau Dr. Koldewey als Gratulanten aufwarteten und schmunzelten oder lachten, indes Ingebottel als Geist der Stadt oder genius loci redend, den Herrn Doktor bat, dieses Wahrzeichen der Gerechtigkeit von der Jugend des Dritten Reiches als Ehrengabe und Hochzeitsgeschenk in einem anzunehmen und dem Museum einzuverleiben. Die junge Ingebottel, in allem eine vergröberte Ausgabe von Annette, mit noch slavischeren Backenknochen und noch blonderen Haaren, machte ihre Sache wirklich reizend, und niemand begriff, warum Herr Koldewey seiner charmanten Tochter nur zerstreut zuzuhören schien, mehrmals in seine Westentasche faßte, einen Schreibtischschlüssel herauszog und abwesend betrachtete und sich erst dann, gleichsam mit einem Ruck, der Gesellschaft, der Gegenwart und seinen Wirtspflichten wieder zuwandte, als Frau Käte ihre Hand auf die seine legte und sie beruhigend drückte. Da sie gleich danach, von Annette zum Frühstück gebeten,

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