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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Früchte, undurchsichtiger Aufgaben, schwerschattender Möglichkeiten ... Prüfend und zärtlich sah sie Herrn Koldewey zu, der das Röhrchen mit dem Pfeilgift wortlos in seinen Schreibtisch schloß, indes Rohmes das Kunstgewerbe des Dritten Reiches lobten, das diese Schale hervorgebracht. »Ach nein«, meinte Annette, »das ist Geschmack der Republik, vielleicht sogar nach einem Vorbild aus Holland oder Paris.« – »Und was Pastor Langhammer angeht, fragten Sie nicht nach ihm, als ich dieses Prunkstück hier hereinbrachte?« Damit wandte sich Bert Boje von dem stumpf-schwermütigen Antlitz der Barlachschen Bäuerin den lebenfunkelnden Augen der fremden Dame zu, »– so hat er sich unvorsichtigerweise zwischen einen SS.-Mann mit gehobener Stahlrute und einen Häftling geworfen, der ihm als Christ die Hände küssen sollte, die ihn geschlagen hatten. Da es oben auf einer steinernen Treppe geschah, fiel Pastor Langhammer nach empfangenem Hieb zehn oder zwölf dumme Stufen herab, genau genug an Zahl, um ihm einen Genickbruch zuzufügen. Dieser Bericht ist authentisch, er stammt aus meiner SA.-Kameradschaft.« Damit zeigte Bert Boje auf dem Aufschlag das Zeichen eines mittleren Grades der SA., in welcher seit ihrer Reinigung vor vier Jahren kein Verdacht hitlerfeindlicher Gesinnung wachgeworden war. Rohmes wechselten einen Blick, die Eifersüchteleien zwischen der ehemaligen und der neueren Schutztruppe der Partei waren ja in Zürich oft genug besprochen worden und beklagt. Hier hatten sie gleich ein Beispiel. »Bert«, rief eine Frauenstimme aus dem Nebenzimmer, und der junge Mann, »zu Befehl!«, verschwand wie er gekommen. »Eine polierte Außenfläche, in der sich die irdisch-bürgerliche Gesellschaft wie in einem Spiegel sehen kann, das vielleicht sind wir«, verwischte Herr Koldewey den peinlichen Eindruck, den die Worte seines neuen Verwandten auf die Gäste hätten machen können. »Wenn wir Glück haben, erkennt sie sich darin, obgleich eine Kugelflasche eher für den Spiegel eines Lachkabinetts taugt ...« – »Oder zum Rasieren«, warf Frau Koldewey heiter ein, »und nimmt uns Eskapaden à la Österreich nicht allzu übel.« – »Solange kein Krieg entsteht, ausgeschlossen«, rief Frau Claudia, »und darum lauern all eure hinausgeworfenen Neider ja nur darauf,daß sie Gift kochen und eingetauchte Bolzen verschießen dürfen, wie Zwergvölker im Urwald. Ein Glück, daß sie ohne jeden Einfluß bleiben, niemand nach ihnen auch nur einen Blick wendet – Personen von Gewicht wohlgemerkt. Sonst könnte es ja nicht passieren, daß eine Konferenz nach der anderen ergebnislos verläuft und der jüdische Professor Weizmann nach der letzten einem Journalisten spöttisch erklären konnte, wahrscheinlich werde der Völkerbund die Palästinaregierung um Zertifikate bitten müssen, da ja sonst die ganze Erde für Einwanderer keinen Platz zu bieten scheine.« – »Nach Palästina wollen die wenigsten«, sagte Professor Rohme bedächtig, »sie lassen sich vom Neuhebräisch ins Boxhorn jagen. Und dabei weiß doch jeder, wie sprachgewohnt und sprachgewandt diese Mittelmeerküste sich von früh an auf Fremde eingerichtet hat. So wie unsere friesische hier, um von ihnen zu leben. – Also keinen Krieg, kein neues 1914, und alles kommt ins Gleiche, und zum siebzigsten Geburtstag Adolf Hitlers halten die Emigranten in Washington, Shanghai und Tel Aviv Feiern ab und senden Huldigungstelegramme.« – »Nein, keinen Krieg«, bestätigte die Gastgeberin, indem sie ihr Täßchen Mokka leerte, »im Krieg fallen immer die Falschen, hat ein Dichter nach dem vorigen geschrieben. Ist ja auch die ganze Generalität und das diplomatische Korps wohlbehalten zurückgekehrt.«
    Vor dem Fenster trommelte plötzlich und pfiff es. Und mit taktfesten Sohlen marschierte es draußen jenseits der Mauer vorüber – wer, das wollten Koldeweys gleich feststellen. Annette aber, erhitzt und gerötet, hatte im Nebenzimmer die Vorhänge bereits gelüftet, die Scheiben geöffnet und war auf den kleinen, nur andeutungsartig gebauten Balkon über der Eingangstür getreten. »HJ.«, rief sie, nach rückwärts, »die Jugend marschiert in den ersten Mai.« – »Kinder, wie spät ist es denn?« fragte Walter Rohme mit heiterem Entsetzen, »da haben wir uns ja weiß Gott eine ganze Frühlingsnacht um unsere unschuldigen Ohren geschlagen.« Schlanke Buben, den Tornister gepackt, mit Riemenzeug und Seitenmesser, machten einen strammen Marsch auf den Flugplatz

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