Das Beil von Wandsbek
mehr zu stimmen, etwas Undurchsichtiges schob sich fahl und bösartig zwischen ihn und die Seinen, das Volk. Hatte er nicht erst wieder jetzt im Reichstag heftig losgedonnert, daß nur sein Wille gelte, er alles wisse, alles selbst bestimme, und dann ein Kram wie gestern abend? Erpressung und Wucherei? Während er seine Pistole mit dem Schraubenzieher zerlegte, sah er von Zeit zu Zeit empor zu dem Hitlerbild, das er vor langen Jahren erstanden, ein Profil über dem schmucklosen Kragen und Schlips der SA.-Bluse, ohne jedes Abzeichen, wie es lange vor der Machtergreifung verbreitet wurde. Hinter diesem Glas, in demselben Rahmen hatte zu Vaters Zeiten die leicht vergilbte Photographie des Großvaters gehangen, am gleichen Nagel, in demselben Wohnraum hier, diesem erweiterten Durchgang zwischen Laden und Schlafzimmer. Dieses Photo des alten Mannes mochte jetzt in der untersten Kommodenschublade liegen, in Zeitungspapier eingeschlagen, mit anderen aufbewahrten Blättern. Vielleicht kam bald ein Tag, an dem man die beiden Bilder wieder vertauschte.
Und dann hellte sich das Wetter wieder auf, der Regen versiegte, der Boden trocknete, und Albert widmete sich wieder seinem Findebuch. Nur gut, daß er seine Wünschelrute besaß. Ohne sie hätte ihn schon der bloße Müßiggang rasend gemacht, überaus leicht in einen jener Wutanfälle hineingehetzt, die er von seinem Vater geerbt. So aber vermochte er gewissermaßen von Woche zu Woche Fortschritte zu buchen. Auf dem Exerzierplatz hinter der Wandsbeker Kaserne hatten sie eine Art Versuchsfeld eingerichtet, wo auf den Wunsch von Herrn Oberstleutnant Lintze metallene Gegenstände in verschiedenen Tiefen und Stellen verborgen wurden, die nur das Militär selbst kannte. Da alle mobilenMannschaften mit nach Österreich ausgerückt waren, zeigte die Regimentsschreibstube und was sonst daheimgeblieben, Zeit und Lust, Versuchen beizuwohnen. Vergraben wurden Blindgänger aus dem Weltkrieg, ungeschärfte Pionierhandgranaten, lange Säbelscheiden; über die Versuchsgänge ward genau Buch geführt und die Zahl der glücklichen Funde eingetragen wie die Treffer in einem Schießbuch. Von Dr. Laberdan angeleitet, zeichnete der Regimentsschreiber Pinnow auch das Wetter auf, das an den betreffenden Tagen vom Barometer und der Bewölkung abzulesen war, die Temperatur nicht zu vergessen. Und Albert hielt sein Findebuch, wie er es nannte, in hohen Ehren. Eine französische 7,5er in dreißig Zentimeter Sandboden mußte schließlich auch ein Dickhäuter aus Stellingen merken, wenn er drüber war. Einen Husarensäbel aber in Halbmetertiefe der Richtung nach anzuzeigen, in der er lag, war schon weniger einfach, und verstreute, oberflächlich ausgeschüttete Schrapnellkugeln fand selbst Albert nur unter günstigen Umständen. Der Oberstleutnant Lintze, wenn der zurückkam, der würde sich freuen. Ob freilich in Spanien dann noch etwas zu tun sein würde ... Einen sonderbaren Umstand vermerkten beide, Albert und Stine, und jedes für sich. Vom Ohlsdorfer Friedhof und Fuhlsbütteler Hochzeitsfest hatten sie sich ausgeschwiegen, bis Pieter Preester und Otto Lehmke ihnen die Zähne auseinanderzwangen. Daß beide randvoll von den unheimlichen Ereignissen jenes Nebelmorgens gewesen, als sie am Fuhlsbütteler Tor auf den Prellsteinen saßen – unfähig sich vom Fleck zu rühren und voll Begier, über das Ereignis zu sprechen, es los zu werden, es zu verdauen, daran erinnerten sie einander manchmal; und wie froh sie waren, als die beiden jungen Damen in ihren blumigen Tanzkleidern sie mit hineinnahmen und aufforderten, Hochzeit mitzufeiern. Ja, aber dann verschloß sich ihnen der Mund. Dem Dr. Koldewey und seinen Gästen ließ sich von solchen Rauch- und Luftgestalten nichts sagen, selbst nach mehreren Glas Kognak nicht. Und dabei zitterte Stine gelegentlich am ganzen Leibe noch, wenn sie sich erinnerte, wie die fünf Wacholdermänner um das Grab standen und mit ihren Gesichtern, an den Ohren vor dem Bauch gehalten, die Nasen gerümpft hatten, bis sie dann schließlich weggewehtwurden, dem Heerwurm den Weg zu zeigen, immer hinein in den Ohlsdorfer Teich. Leute, denen derartiges zustieß, mußten ja wohl den Mund davon halten. Ob so was Übersinnliches in der richtigen Welt spukte oder von einem selbst hervorgebracht wurde, wie ein Traum im Wachen, änderte schließlich an der Genierlichkeit des Vorgangs nichts. Wer dergleichen sah, tanzte aus der Reihe – was sich nicht gehörte. Sonderbarkeiten mußte
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