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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Küchenstuhl heran, setzte sich Albert gegenüber, stützte beide Ellbogen auf den Tisch und nahm ihr Gesicht zwischen die Hände – eine Stellung, die bei ihr daheim verpönt war und das Mecklenburger Wappen genannt wurde, welches seinerseits einen Ochsenkopf enthielt. Sie wußte aber, daß ihrem Albert diese verbotene Haltung gefiel, aus unbekannten Gründen, vielleicht weil ihre weißen Unterarme dabei so hübsch zur Geltung kamen; und so, das Gesicht in die beiden hohlen Hände geschmiegt, das rötliche Haar in lockeren Strähnen herumhängend und die hellen Augen prüfend auf ihm, tat sie die entscheidende Frage: »Nun schieß schon los, Albert, was war gestern?« Und als er schwieg und vor sich hinmuffelte, fuhr sie fort: »Unsereins macht sich nicht klüger, als es ist. Hätt ich dich damals bei deinem Training ausgefragt, wer weiß, ob ich die Kraft gehabt hätte, dir abzuraten. Jetzt, wo’s uns all die Monate schon stößt und beutelt, uns beide weichgeklopft hat, auf alle Fälle mich, möcht ich den Fehler nicht wiederholen.«
    Albert, die Augen schwer auf ihrem Gesicht, ihren Armen, ihrem Haar, pfiff leise vor sich hin, eine Operettenmelodie, deren Text einmal gelautet hatte: Eine ganze kleine Frau. Wirst du’s auch durchstehen? hieß dieser Blick. Eigentlich hab ich mir doch vorgenommen, die Schnauze zu halten. »Tja, Stine«, sagte er, »sie haben mich nun also gestern erpreßt. Pieter Preester und die Hiergebliebenen. Ihren Anteil wollten sie haben, zehn Prozent für die Unterstützungskasse. Aus der sie sich gegenseitig unterstützen, wohlverstanden. Und was ich bar nicht bei mir hatte, zweihundert Mark, hat mir Lehmke vorgeschossen. Freundlich,was? Brauchte ihm bloß unser Schlafzimmer zu verpfänden, als Bürgschaft. Zahl ich ihm bis zum 7. 9. zweihundertzehn Mark zurück, so gehört’s wieder uns – dein Schlafzimmer.«
    Stine antwortete zunächst gar nichts. Albert sah ihre Augen schwarz werden, weil ihre Pupillen sich so vergrößerten. Draußen pladderte der Regen. »Mein Schlafzimmer«, erwiderte sie dann leise. »Unsere Höhle. Wenn ich’s nun mit Mopöl poliere, halt ich der Lehmkin ihr Eigentum in Ordnung.« – »Nicht so ganz«, erwiderte er, »aber doch beinahe.«
    Sie löste ihr Gesicht aus den Händen und zählte an den Fingern. Juni sechs, Juli sieben, August acht, bis zum neunten September gehört’s noch uns.« – »Zich Tage«, bestätigte er, »darin kann viel geschehen.« – »Gott sei Dank«, damit stand sie auf, »wissen wir doch wenigstens, wie lange es noch dauern kann.« – »Auch auf unseren Wäscheschrank hat Otto ein Auge geworfen, aber dafür hol ich aus ihm noch ein paar braune Lappen heraus. Wenn der Adolf wüßte, was mit uns gespielt wird. Wenn’s so pladdert, kann ich nicht mal rauslatschen, mein Findebuch vermehren oder auf dem Viehhof ausladen helfen. Na, ich werd’ schon was tun.« – »Hat’s dir geschmeckt?« fragte sie, als er aufstand. »Na, da gib mir einen Schmatz. Und findst du nichts, machen wir eben mitsammen fort.« – »Nach Spanien?« fragte er zurück. – »Und weiter«, erwiderte sie. »Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut wird von Menschen vergossen. Wird oder soll, darüber stritten sie bei Apotheker Plaut manchen Freitagabend, wenn die Lichter in den silbernen Leuchtern brannten und der Herr Rabbiner zu Gaste war. Hast doch gesehen, Albert, die Geköpften führen uns in den Krieg, deine Vier und der große Jude von Kamerad Ruckstuhl, Herrn Prokuristen Ruckstuhl von heutzutage. Ob du von ner Mine in die Luft fliegst und mich hier ne Fliegerbombe erwischt, wer weiß, wo das geschrieben steht. Dann bleibt doch besser, wir machen uns mitsammen fort. Bis zum 6. 9. haben wir Zeit, lassen uns nicht in die Karten kucken, bleiben immer patent und sauber, gehen sogar manchmal ins Kino und dann Schluß – wie, wird man ja sehen.« – »Möchtest wohl gern von mir übern Haufen geschossen werden, Stine?« beendete Albert diese Unterredung mit heiserer, beengter Kehle. »Wirst du von mirnicht erleben, Deern, da weiß ich schon, wen ich mir vorknöpfe.« Und er ging hinaus über Eck ins Wohnzimmer und entnahm der Schublade die schwarze Ledertasche mit der Schnellfeuerpistole, die zu seiner Ausrüstung gehörte. Man konnte sie mal wieder zerlegen, reinigen und ölen.
    In Wirklichkeit wußte er nicht, gegen wen er die Waffe hätte richten sollen. Gestern glaubte er noch an seinen Führer, heute aber schien ihm irgend etwas in der Partei nicht

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