Das Beil von Wandsbek
Klempnermeister Drohms Söhnen der kleinen Edith Doligkeit zugefügt, die Wagnerstraße vor drei Jahren während der ganzen Michaelisferien erheitert hatte. »Und du denkst, daß sie uns die ganze Zeit nicht leiden konnten, und daß alles Freundlichtun und Stineken hier und hübsche Frau Stine da bloß Falschheit war?« – »Wein nicht«, sagte Albert und blickte auf die weißblauen Fliesen, die den Estrich des Ladens bildeten, von Stine aufs sauberste gescheuert und im Winter so fußkalt, daß man Holzrosten vor und hinter dem Ladentisch verwenden mußte. »Mag ich gar nicht glauben, wir taten doch keinem was zuleide, und so falsch wie die Polacken oder Tschechen waren unsere Landsleute doch nie. Hast ja gelesen, was vorgestern für ein Artikel in Lehrer Reitlins Fremdenblatt stand. (Teetjens hatten vor einer Anzahl Wochen den Bezug ihres Tageblatts aufgegeben und mit dem Hauswart eine Abrede getroffen, wonach er ihnen mit einigen Tagen Verspätung sein Blatt überließ.) »Nein«, fuhr Albert fort, »sie konnten uns gut leiden. Darum dachte ich ja immer, das Beil verscheuche sie. Aber vielleicht war’s ein bißchen viel Ehre, was uns so zustieß in der letzten Zeit.« – »Dir«, warf sie ein. – »Und das mögen sie nicht. Sollten auch bloß Fußgänger sein wie sie, nicht auf unseren Fahrrädern dahinflitzen. Wenn wir sie um Mitleid anbettelten, sollst sehen, wie sie wiederkämen. Aber da können die lange warten. Werden die von Teetjens nicht erleben, nöch?« Und Stine trocknete sich die Augen, schob die hübsche Unterlippe vor und tauschte mit Albert einen Blick vollen Einverständnisses.
Über die andere Seite ihrer Angelegenheit, die allgemeine undpolitische, hatten sie sich schon öfter beraten und verständigt. »Früher dacht ich«, so äußerte sich Albert immer wieder, »die Systemzeit sei versunken und vergessen, die Roten hätten abgewirtschaftet, jeder sähe ein, was für einen Segen das Dritte Reich bedeutete. Daß wir wieder geachtet und gefürchtet seien, und wie es im alten Flaggenlied heißt:
›Da steht die deutsche Flagge sehr
In Achtung und Respekt.‹
Und daß solch ein Aufstieg vom einzelnen Bürger Opfer fordert, wie’s der kleine Doktor und unser großer Führer nicht müde wurden, den Leuten einzuhämmern. Aber – nee. Hier sieht man’s ja, was das wert ist bei unseren Volksgenossen. Wie’s zum einen Ohr hineinrutscht und zum anderen hinaus, wenn überhaupt. Daß Gemeinnutz vor Eigennutz geht, das haben die noch nicht kapiert. Jeder hat den Bauch voll Zorn, weil’s ihm oder seiner Alten an ingendwelchem Ende zu irgend etwas mangelt. Wenn sie im Kino nicht mehr hinten sitzen können, sondern bloß noch vorn, wenn sie das alte Paar Handschuhe weiter tragen müssen, das gestopft ist, wo man’s nicht sieht, oder die Carsten den Covercoat ihres Mannes kunststopfen läßt, weil er auf dem letzten Ausflug an einem Stacheldraht hängen geblieben ist oder einem Nagel. Früher, denkt sie, hätten sie sich einen neuen geleistet. Und nun haben sie eine Gelegenheit und toben ihren Ärger aus.« – »An uns«, schluckte Stine auf. – »Warum nicht?« fragte Albert dumpf zurück, »wo’s doch ohne Gefahr geht und Verleumdungen sich nicht fassen lassen.« Das ist ihm das Schlimmste, dachte Stine, meinem Draufgänger, das hört man. »Wüßt ich nur, wer das aufgebracht hat, daß es bei uns nicht mit der richtigen Hygiene zugeht«, knirschte er, »dem Kerl würde ich ja die Zähne plombieren.« Albert sagte »Higihne«, aber das änderte nichts an dem Eindruck, den seine Drohung auf Stine machte. Er würde sich nicht unterkriegen lassen, der nicht.
So hatten sich ihre Unterhaltungen abgespielt, bevor das ersehnte Ereignis eintrat und Pieter Preester auf Urlaub kam. Am Mittwoch nach Pfingsten nun, während sie die großen, gewöhnlich schmeckenden Bohnen vor dem Anbrennen schützte, Albertaber seinen Aufguß aus Ersatzkaffee am Küchentisch frühstückte, fiel Stine auf, daß er, der gestern voll Hoffnung hinübergegangen war, weil sein Freund Preester auf Urlaub gekommen, jetzt schweigsam dasaß, mit hängenden Schultern, sein Brot mit Pflaumenmus bestrich und nicht geneigt schien, irgend etwas zu erzählen. Stine hatte bewiesen, während der Beginn dieser unseligen Verirrung im Gange war, daß sie sich des Fragens enthalten konnte. Es war Schlechtes daraus entstanden. Man sollte die gleichen Fehler nicht zweimal machen.
Sie schob einen Asbestteller unter die Bohnen, zog den
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