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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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War die Maus klug, so wanderte sie aus, vermied die Schwelle. Der Kamerad Vierkant – der ja inzwischen Fooths Privatsekretär geworden sein sollte – hatte erzählt, daß mal nach dem Krieg sein Vater einen Reisekorb voll Bücher und Noten von einem kleinen Bahnhof geholt hatte, auf dem er mehrere Monate gelagert. War da beim Auspacken zwischen dem ganzen gedruckten Zeug ein Nest mitsechs jungen Mäusen enthüllt worden, kleinen roten Kadaverchen, die verhungert waren, weil sich von Papier eben nicht leben ließ, nicht einmal für eine Maus. Nun, von dem Papier des Parteiprogramms, und was sie so darum herum gedruckt hatten, lebten viele Leute recht bon. Ob er versuchen sollte, den Vierkant als Stufe zu benutzen, zum großen Footh emporzureichen? Oder würde der sich eher als Absperrkette herausstellen?
    Erst Stine erschießen und dann sich selbst. Das dachte sich ganz einfach. Aber tat es sich auch so? Tat es sich überhaupt? Er gähnte immer wieder und vermochte doch nicht zu schlafen. Wie laut die Uhr im Nachttisch tickte! Vielleicht hätte er jene vier Hiebe nicht ausführen sollen. Wahrscheinlich aber mußte man mit dem »Vielleicht« weit früher anfangen. Vielleicht hätte er nicht so großen Wert darauf legen sollen, etwas Besseres zu sein als solche Arbeiter, Sozis, Proleten. Vielleicht hätte er die Redensart ernster nehmen sollen, mit der sie ihre Aufrufe spickten von den Werktätigen, den Arbeitern mit Kopf oder Hand, aber er war eben stolz auf seine Selbständigkeit von Anbeginn, hatte zu den Höheren emporgeblickt, froh, zu ihnen zu gehören, ihnen gefällig zu sein, erbötig und zu Diensten. Und so ging der Weg – nach Spanien. Was diese Frau Timme für Riesenaugen gehabt hatte. So zwischen Kuh und Katze. Er, Albert, für die Republikaner fechten, die sogenannte Regierung, die Landgüter und Bodenschätze beschlagnahmte, enteignete. Was ging’s ihn an? Morgen mußte Stine zu der Dr. Neumeier hinüber und dann zu der Apothekerschen, der Plaut, ein Schlafmittel schnorren, paar hilfreiche Tabletten für ihren Mann. Und außerdem aus dem Lehmke noch eine Flasche Köhm quetschen – der Hund machte ohnehin einen hündischen Schnitt ...

Fünftes Kapitel
Kein Gift
    Frau Dr. Neumeier befand sich in jenen Wochen des steigenden Juli-August in so glücklicher Laune wie kaum je seit ihrer Trennung von K. A. Lintze. Sie strahlte beglückte Zufriedenheit aus,Wärme, Reife, Anteilnahme. Sie hatte nie geglaubt, daß es ihr noch einmal so gut gehen werde, ja Maßstab und Möglichkeit für ein solches Ergehen war ihr abhanden gekommen. »Wir Borsdorfer«, sagte sie manchmal zu Heinrich Koldewey, »wir haben es leicht, aromatisch zu sein, wir waren gut gelagert und konnten nachreifen.« Denn auch Dr. Koldewey wirkte verjüngt, erwärmt, erfrischt auf jeden Menschen, der mit ihm zu tun hatte.
    An jenem Morgen nun hatte Annette ihre »Mutter« in die Praxis gefahren und sich dabei gradeaus schauend, die Straße im Blick, als Patientin gemeldet. Sie war unzweideutig im dritten Monat, und nun mußte etwas geschehen. Käte Neumeier hatte sich schnell gefaßt und ihr dann vorgeschlagen, das kleine Wesen doch auszutragen. Draußen in der Villa konnte das ohne Schwierigkeiten geschehen; wurde sie sehr stark, so fuhr sie für die letzten Monate irgendwo an die Küste, zur Welt brachte sie das Kind in Fuhlsbüttel, und aufgezogen wurde es als Heinrich und Käte Koldeweys Baby, vielleicht sogar als solches adoptiert. »Wenn ich stark werde«, hatte Annette erwidert, »dann wintert es an der Küste nach Strich und Faden, da kann niemand drum herum.« – Und erst als sie die Lübeckerstraße überfuhren und vor Kätes Praxis hielten, war ihnen die Idee gekommen, die allerbeste: warum wollte Annette den Bert nicht heiraten, bevor er nach Argentinien absockte? Und ihm später nachkommen, mit Baby oder ohne. In der Tat, das war ein Ei des Kolumbus! Und ob Annette den Bert heiraten wollte! Und der Bert die Annette auch! Man mußte sich nur beeilen, damit sich die junge Gattin nicht von den Brautjungfern, ihren Schwestern, an Format unterschied. Und während sie von der treuen Marie empfangen wurden, und die Ärztin sich wusch und umzog, hatten sie lachend, wie Gören, erwogen, in welchem Verwandtschaftsverhältnis das zukünftige Bojekind zu Käte Koldewey stehen würde: von väterlicher Seite Großnichte oder Großneffe, von mütterlicher Seite aber angeheiratetes Enkelkind ... »Großneffe«, rief Annette, als sie die Tür

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