Das Beil von Wandsbek
Teetjen, zu vermuten, er werde sich auf die Seite der sogenannten Republikaner schlagen, der spanischen Bolschewiken, gab in den nächsten Tagen noch Anlaß zu manchem Spaß. Dasah man’s, was diese Leute in ihren Köpfen für Kalbshirn trugen. Putziges Zeug! Wer hatte ihn denn in die Sackgasse gejagt, he? Wenn nicht die heimlichen Wühler, nicht die Parteigänger des roten Spanien! Da mußte so eine Witwe natürlich vermeinen, wenn einer nach Spanien gehe, dann selbstverständlich gegen den Bringer von Ordnung, Ruhe und Arbeit, den General Franco! Wie es sich nur herumgeredet haben konnte unter denen, daß er, Albert Teetjen, der Mann in der Maske gewesen sei. Er setzte sich nieder, wo er gerade stand, auf sein Sofa, den Küchenstuhl, die Bettkante, stützte den Kopf in die Hand und stierte auf den Boden, als ob dort eine Antwort geschrieben sein könnte. War dem so? Besaßen sie vielleicht noch immer unterirdische Organisationen, so konnte früher oder später in einer beliebigen dunklen Nacht ein Messer in seinen, Alberts Rücken fahren, zumal ihn jetzt die Partei im Stich gelassen hatte, Kameradschaft nur noch gegen bar zu haben war. Hatte man nicht früher mal bei Lehmkes erzählt, einer der Hauptbelastungszeugen sei sonderbarerweise zufällig bei einer Luftschutzübung von den Helligen gestürzt und mit Schädelbruch abgegangen? Seiner Stine durfte er von diesen Möglichkeiten gar nicht erst reden, aber besser war es schon, er ging in der Dunkelheit nur noch mit ihr aus dem Haus.
Daß ihn der Footh im Stich ließ! Daß auch die Kameradschaft nicht mehr zählte!
Wenn er so tagsüber im Unterhemd und Leibgurt, die Tüffeln auf den nackten Füßen, durch seine jämmerlich verödeten Räume schlurfte, viel zu groß, viel zu leer und sinnlos für zwei Leute, fühlte er sich zum erstenmal in seinem Leben unwohl in seiner Haut. Er hätte sie ausziehen mögen wie eine Arbeitsschürze, hätte er nur gewußt, wie eine andere Haut beschaffen sein müßte, um ihm jetzt zu passen, eine Glückshaut, eine vergoldete. Manchmal abends, wenn er sich entkleidete, sich in dem großen Stehspiegel begutachtete, sah er als Sachverständiger, wo man die Schnitte anbringen müßte, um diese zu eng gewordene Haut von ihm, Albert Teetjen, abzulösen. Nicht umsonst hatte er früher alle Arten von Kadavern abgehäutet. Wahrscheinlich mußte man in der linken Achselhöhle beginnen, einen Schnitt an der Körperseiteherunterführen, bis zum Fußknöchel, die Innenflächen der Beine öffnen, das rechte an der Außenseite aber nur bis zur Hüfte auftrennen, damit der Balg an der Flanke weiterhin zusammenhing. Das Fell mußte brauchbar bleiben, gegerbt werden, den Lederhändlern verkauft. Ja, dann konnte man freier umherlaufen und atmen. In seiner Haut aber lebte er nicht mehr gerne, mußte man schon zugeben. Keine Kameraden, keine Arbeit, keine Einnahmen, keinen Freund – das war für einen Mann zu wenig. Stine stickte noch im Wohnzimmer, er, Albert aber, fühlte sich zerschlagen und legte sich nieder, möglicherweise um eine Viertelstunde zu schlafen und dann bis zwölf wachzuliegen und Gedanken im Kopfe durchzukneten, wie Rind und Schwein zum Hackepeter. Sah er etwa nicht, daß seine Stine vom Fleische fiel, ihre Brust begann zu hängen? Hatten sie es dem Footh gegenüber an Aufmerksamkeit fehlen lassen? Sollte er nochmal anklingeln? Im Büro bei Fräulein Petersen? Und was vor allem war mit dem unabänderlichen Parteiprogramm los? Hatte man von Partei wegen die Warenhäuser arisiert, die Juden rausgeschmissen, bloß um den alten Kram weiterzutreiben? Verschärft durch Rüstung? Waren all diese schönen Worte nur Worte gewesen, mit denen die Führer und Schöpfer der Partei gelobt hatten, nicht zu ruhen und zu rasten, und nötigenfalls Gesundheit und Leben dafür einzusetzen, daß alle Deutschen in den Genuß ihrer Heimat kämen, die Finanzhyänen beseitigt wurden, Wucher und Schiebertum, sowie die rücksichtslose Bereicherung auf Kosten und zum Schaden des Volkes mit dem Tode bestraft werden würde? Fünf Jahre, hatte Kamerad Vierkant damals durchs Radio getutet, fünfmal dreihundertfünfundsechzig Tage regiert die Partei jetzt unumschränkt, konnte machen, was sie wollte, wie der Puppenschnitzer in der Lammerstraat, hatte jetzt sogar den Grafen Westarp für den Rest seines Lebens im Zuchthaus begraben, der während des Weltkriegs die Konservativen geführt hatte und mal der mächtigste Mann im Reiche genannt wurde – mit welchem
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