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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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das Wort Veronal, bis es ihr fest im Gedächtnis saß. Sie hatte ihrem Albert schon längst Baldriantee aufgegossen; der Zweck ihres Besuches lag in der Frage verborgen, die sie zum Schluß gestellt, sie wünschte, richtiges Gift im Hause zu haben, ein Mittel, das sie beide um die Ecke brachte, wie man sagte, ohne daß sie sehr litten. Sie wollte von ihrem Albert nicht übern Haufen geschossen werden, wenn er es auch versprach – übers Herz brachte er es doch nicht. UndRattengift ins Essen kochen wollte sie nicht, abgesehen davon, daß man’s ohne Giftschein nicht bekam. Früher war das anders gewesen, ihre Mutter hatte von einer Freundin erzählt, die sich mit einer Tüte Schweinfurter Grün das Leben genommen hatte. Die Mutter hatte sich nicht genug tun können, auszumalen, was für einen scheußlichen Tod die arme Lene gestorben sei.
    Es war weit zur Grindelallee, Stine hatte nur ihr grünes, weißbepunktetes Sommerkleid an. Sie mußte noch nach Haus, den Regenmantel holen, vor einer Dusche war man niemals sicher. Da konnte sie überlegen, ob sie sich von Albert im Lieferwagen hinfahren lassen würde. Das Hinein- und Hinauskriechen war unangenehm, besonders wenn jemand zusah, andererseits: es machte zusammen 30 Pfennig; für Leute, die so gut wie nichts einnahmen, war die Ersparnis von Ausgaben die einzig mögliche Politik.
    Als Albert hörte, warum sie zurückkomme, entschied er: »Grindelallee? Ausgezeichnet. Hinter der Sternschanze, auf den Viehhöfen, kann ich mich umtun. Vielleicht wo sie doch schon Reservisten eingezogen haben, blüht da unser Weizen – wenn’s meinem Rufe nicht schadet.« Natürlich durfte er nicht in die Arbeitergehilfen hineinpfuschen als selbständiger Meister, ohne mit der Betriebsordnung empfindlich zusammenzustoßen. Vielleicht aber, da man doch auf gewisse Art mobilisiert hatte, drückte die Innung ein Auge zu. Um Arbeit betteln, das ging natürlich nicht, kein Teetjen hatte das je getan. Und was im verschrobenen Kopf von solch einer Witwe Timme das Einfachste von der Welt schien, zu den Proletariern herabzusteigen, das stand auf einem anderen Blatt – einem so anderen, daß es gar nicht existierte. Zur Grindelallee also konnte er die Stine bringen, sie mußten sich bloß verabreden. Wenn sie an der Universität vorbeifuhren, würden sie in den Anlagen eine Bank ausmachen, auf der sie einander erwarteten, wie ein Liebespaar, Student und Studentin, die nichts Besseres zu tun hatten, als miteinander zu poussieren. Für den Hin- und Rückweg aber würden sie stillere Seitenstraßen wählen. Nicht gerade den Steindamm und Hauptbahnhof, sondern Mundsburger Damm, an der Alster entlang und über die Lombardsbrücke, wo man freilich den Autos und Straßenbahnen imWeg sein würde. Aber das ließ sich nicht ändern, und dafür paßte ja der Schupo auf.
    »Wie lange wird’s noch dauern, bis wir hungern müssen?« fragte Albert, indes er den Naben des Dreirads etwas Öl zum Morgenkaffee gab. Mit ängstlichem Gesichtsausdruck antwortete Stine: »Ja, das frag ich dich.« – »Wir haben noch die große Schlackwurst«, erwiderte er, »und auf dem Konto noch hundertsiebzig Mark, wenn ich die Miete abziehe vom letzten Vierteljahr, nach der der Reitlin schon gefragt hat. Rechne ferner die Einrichtungsmiete ab fürs laufende Quartal, dann sitzen wir eigentlich schon auf dem Trockenen.« – »Ja«, die muß man doch abrechnen«, unterstrich Stine, Schreck in den Augen, und kroch dabei in das würflige Gehäuse. »Wie man’s nimmt«, brummte er. »Haben genug an uns verdient, die Burschen. Als wir uns modernisierten, hätte ich etwas mehr Bargeld haben und mir das Zeug kaufen müssen. Dann gehörte es uns schon lange, hätte sich spielend abgezahlt, und wenn wir auflösen mußten, könnten wir ein gut Stück Geld dafür reinkriegen, statt daß es uns jeden Monat was kostet. Der arme Mann lebt eben stets am teuersten.« Damit schloß er die Klappe oder Tür, vor welcher er saß, gab sich einen tüchtigen Schubs an der Mauer des Durchhauses oder Torwegs, trat los, warf noch einen Blick auf seine verschlossene Ladentür, an welcher das Schild mit der Mitteilung hing, er sei in zehn Minuten zurück – jetzt hatte sich bewahrheitet, was die Kinder der Wagnerstraße vor so langer Zeit mit Rotstift beleidigend drauf kritzelten.
    Als sie beim »Braven Panzer« vorübertrampelten, stand die Lehmke zufällig in der Schanktür und sah ihnen nach. »Möcht wohl wissen, was der Albert da wegtransportiert«,

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