Das Beil von Wandsbek
bemerkte sie, in den Schankraum zurückgekehrt, zu ihrem Mann, der die Queues seines Billards untersuchte. »Er hat was drin in dem Kasten, denn er lag tüchtig in den Pedalen. Wer weiß, wem er die Gefälligkeit erweist. Ware wegzuschaffen, hat er wohl kaum mehr.« – »Eben«, entgegnete die Gattin, »aber Wäsche. – Unsere Wäsche. Vielleicht, mehr sag ich nicht. Muß aber doch wohl nächstens einmal nach dem Rechten sehen. Einen Blick in Stinekens Schrankfächer schmeißen.« – »Laß man vorläufig sein, Alte«, damit stieß der hemdärmelige Lehmke probeweise nach einer Elfenbeinkugelauf dem grünen Tuch. »Wäscheschrank ist ein Ehrenpunkt für euereins, und du sollst mir die Kleine nicht kränken.«
Hunger, dachte Albert und trat fest drauflos, auf der rechten Straßenseite, den Verkehrsampeln gehorsam – Hunger, der fehlte noch. Wär noch nicht mal das schlimmste, wenn man’s mit andern zusammen zu tragen hätt. Aber ganz allein sein, rausgeschmissen, ohne befreundete Menschenseele, um den guten Ruf gebracht und dann noch Hunger – das ist zuviel. Keinen Freund mehr, außer der Kleinen hier hinten im Kabuff, keinen Footh mehr. Und dabei hat er in Lehrer Reitlins altem Fremdenblatt bei dem Namen Footh eine Notiz gefunden, über die er sonst glatt hinweggelesen hätte – daß nämlich der große Krupp seine hamburgische Schiffsbasis durch Angliederung der Foothschen Äuglein-Reederei wesentlich verbreitere, und daß Gauleiter Kauffmann sich ums Zustandekommen dieser Fusion verdient gemacht habe. Das gab zu denken. Nicht jetzt, jetzt hieß es aufpassen, treten, warten, treten. Aber ohne Lehrer Reitlins roten Strich, der um die Freundschaft mit dem Footh Bescheid wußte. Das war doch ein Millionengeschäft! Erst die Thetisschiffe und jetzt Krupp. Und er, Albert, trampelte seine Stine nach der Grindelallee, weil er zu den Viehhöfen wollte und Hin- und Rückfahrt für sie beide sechzig Pfennige gekostet hätte ...
An der vertrauten Stiege zu Plaut hinauf hatte sich nichts verändert. Immer noch das dunkle, schlechtbelichtete Treppenhaus eines Gebäudes, das wohl fünfzig Jahre stand, als die Gegend nahe der Synagoge zu Hamburgs besseren Wohngebieten zählte. Daß Stine gewohnheitsmäßig den Dienstbotenaufgang wählte, brachte sie unmittelbar in die Küche. Und da saß Frau Plaut mit geröteten Augen und sah verweint aus, und die alte Köchin, die sie seit Stines Weggang nicht gewechselt hatten, redete ihr gut zu, doch etwas zu frühstücken, ein Rundstück mit Butter auf die Aufregung und noch eine Tasse Kaffee. Und eben auch trippelte Frau Rabbiner Plaut, die Schwägerin, durch den langen Gang vom Wohnzimmer her in besagte Küche: Zollinspektor Federsen wolle sich verabschieden und das Einpacken den Damen selbst überlassen – vordem Zunageln der Kisten am Nachmittag komme er wieder. Worauf die beiden Damen eilig nach vorn verschwanden und Stine, auf dem freigewordenen Stuhl Platz nehmend, erfuhr, daß Herr Plaut die Apotheke habe verkaufen müssen, in arische Hände übergeben, sagte Köchin Line mit spöttischer Betonung, und daß Plauts nach Palästina machten, weil es überall sonsthin zu langsam ging. »Denn, Frau Teetjen«, ergänzte die Köchin geheimnisvoll, »da sitzt eine weise Frau in der Reimerstwiete, die legt vielleicht Karten! Unserer Gnädigen hat sie ja nicht viel aufgeschlagen, nur eine Reise zu Männern mit Turbanen und Schießereien. Aber der Frau Mengers aus der Rothenbaumchaussee! Daß sie Synagogen rauchen sehe, daß die Juden noch drei Monate Zeit hätten, daß der Skorpion, der den November beherrscht, sie diesmal ins Lebensmark stechen würde, und was nicht noch alles! Und da habe Gnä’ Frau Egon und Ruthchen nach Dänemark geschrieben, wo sie beim Bauern auf Hachscharah seien, daß sie sich für Anfang August bereithalten sollten, und lassen jetzt vom Spediteur Knudsen einen Sechsmeterlift vorbereiten, und von der Zollbehörde werde das Einpacken kontrolliert, damit alles den rechten Schick habe. Ja, Stine war schon lange nicht dagewesen, aber das verstand man ja, bei den Nürnberger Gesetzen und allem, was von Staatswegen jetzt für recht und billig galt. Sie, Line, war durchaus nicht froh, sich eine neue Herrschaft suchen zu sollen, mit Plauts war sie doch so gut wie verheiratet gewesen. Am liebsten ginge sie mit zu den wilden Arabern – wenn die bloß nicht jetzt Bomben schmissen, die Eisenbahnschienen wegtrügen und auf die Elektrische schössen.
Das Wohnzimmer sah
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