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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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verändert aus, ungemütlich, die Gardinen fehlten, das Sommerlicht fiel kraß herein, offene Schubladen zeigten ihre leeren Böden, das Kinderzimmer wurde als Packzimmer verwendet, wie die halboffene Tür verriet, Kisten standen umher, gerollte Teppiche lehnten an den Wänden, und die Tapete wies dort, wo die große Ruisdael-Kopie gehangen hatte, der Judenfriedhof, ein Viereck von unverblaßtem Lichtbraun auf. »Setz dich, Stine«, sagte Frau Plaut, noch immer rundlich, mit braunen Augen und braunem künstlichem Scheitel. »Sag, was dich herführt, und laß dich ansehen, bist auch nicht jüngergeworden, Deern. Um ehrlich zu sein, wir wären weggegangen, ohne dich vorher nochmal gesehen zu haben. Es hätt mir zwar leid getan, aber vielleicht hätt ich dir nachher eine Karte geschrieben, aus Bethlehem oder Nazareth, von der Geburtskirche oder Tischlerwerkstatt des Heiligen Joseph. Daß es das alles gibt, und daß wir dorthin sollen oder müssen ... « Und sie tupfte wiederum ihre Augen, »wo wir doch nach Hamburg gehören und nirgendswo anders zu Hause sind. Was die für ein Elend über unser Volk gebracht haben ... « Jetzt wurde auch Stine zum Weinen zu Mute. Das war vielleicht wahr! Wer hatte denn über ihren Albert und sie das Elend gebracht, die doch keine Juden waren, sondern ehrsame Schlächtersleute, denen die Epa-Geschäfte und Warenhäuser die Kundschaft abtrieben, nach wie vor. Sie nahm sich sehr zusammen, die Gnädige durfte ihre Gefühle zeigen, für sie aber wollte sich das nicht schicken, und sagte, sie werde sich sehr freuen, Bilder vom Heiligen Land zu kriegen, wie es jetzt aussehe, und wenn das Volk Israel ins Land seiner Väter zurückkehre, dann bereite sich doch auch die Wiederkunft Christi vor und die Neugeburt des Lebens im Geiste und in der Freude, die gnä’ Frau dann vielleicht noch erleben würde. Vor dem Messias freilich mußte der Antichrist kommen, wie geweissagt stand in der Offenbarung Johanni, mit Krieg, Pestilenz, Hunger und Tod, Überschwemmung, Aufruhr und fürchterlichen Tieren, fliegenden, womit vielleicht die Bomber gemeint seien in Spanien und China. Aber das Land Israel würde seinen Frieden haben und Jerusalem nicht angerührt werden von Gog und Magog. Darauf könnte gnä’ Frau sich verlassen und die beiden Kleinen auch, Egon und Ruthchen. »Ruth heißt noch Ruth«, schnupfte Frau Plaut mit feuchten Wimpern, »aber Egon heißt jetzt wie sein Großvater Ephraim. So nennen sie sich in Palästina wirklich. Und was führt dich her, womit kann ich dir dienen?«
    Und jetzt wäre es beinahe um Stines Fassung getan gewesen – die Verbundenheit im Leid mit dieser Frau, in deren Haus sie den Sabbath hatte halten können, und welcher sie Mutter und Großmutter übergeben hatten, brachte ihr erst zum Bewußtsein, wie allein sie sich bislang durchgeschlagen und gefühlt hatte, und wie sehr es sie nach einer mütterlichen Schulter verlangte, umsich auszuweinen. Ihr und ihrem Albert ging es durchaus nicht gut, er konnte vor Sorgen nicht mehr schlafen, und sie hatte hier ein Rezept, einen Zettel von Frau Dr. Neumeier, und wollte bitten um ein paar Tabletten, aus alter Freundschaft, wie zum Abschied.
    Frau Plaut nahm das Rezept und vertiefte sich darein, um nachzudenken. Sie hatte in ihrem privaten Besitz mehrere Röhrchen Veronal für Zwecke, die ja nun nicht mehr in Frage kamen, und konnte der Stine eins davon überlassen – ihrem Mann mit seinen Bärennerven tat das giftige Zeug bestimmt keinen Schaden. Dem ihren dagegen war es schon verboten, einer Arierin Drogen zu verabfolgen, selbst leichte, harmlose, wie hier verzeichnet. Natürlich lag Plaut daran, möglichst viele Arzeneimittel hinüberzunehmen, nur so konnte er sein Vermögen, das erarbeitete und ersparte, den Nazis entreißen – transferieren, nannte man das jetzt. »Ist dein Mann noch gut zu dir, Stine«, fragte sie, indes sie aufstand und an ihren Schub ging; es war der gleiche seit zwanzig Jahren – aus welchem Stine so oft für sie die Kopfschmerzentablette geholt hatte oder für die Kinder, in der Zeit der jungen Kirschen und unreifen Pflaumen, das Stopfmittel. »Ach, Frau Plaut«, rief sie, die Augen glücklich aufschlagend, »der Albert!« – »Gottlob«, seufzte Frau Plaut, »manches funktioniert noch. War er nicht bei der SA.?« – »SS.«, stellte Stine richtig. »Na gut, nimm das. Willst du’s brauchen – für dich tut’s eine halbe. Ihm ne ganze. Aber sag’s niemandem, von wem du’s hast.« Und einer

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