Das Beil von Wandsbek
hinter sich schloß.
Stine Teetjen saß schon im Wartezimmer seit einer halben Stunde, sie kam als erste dran. Sie sah schlecht aus, fand die Ärztin, blaß und abgemagert, seelisch offenbar bedrückt. Sie verwahrtesich auch gleich ängstlich dagegen, daß sie um ihrer selbst willen komme. Das könnte ihnen jetzt noch fehlen, daß sie krank würde, wo sie doch nicht einmal wußten, woher sie die Rechnung für diesen Besuch zahlen sollten, falls Frau Doktor ihr dies überhaupt berechnete. Sie brauchte nur ein Schlafmittel für ihren Mann, der wachte immer auf kurz nach dem Ausknipsen und lag dann stundenlang wach und quälte sich. Und sie damit auch. Dabei mußte er doch den Kopf oben behalten, und darum, weil sie doch nicht wußte, was sie in der Apotheke verlangen sollte, hatte sie sich so früh zur Sprechstunde aufgemacht und wollte ja bei Gott nicht lange stören. Sie hatte früher bei Apotheker Plaut gedient, und der oder seine Frau würden ihr ein paar Tabletten gratis überlassen, sie mußte nur wissen, worum sie bitten sollte.
Käte Neumeier besaß in ihrem Schrank Dutzende von »Ärzteproben«, welche die chemische Industrie versandte, um für sich zu werben. Hübsche, kleine Packungen mit gelehrt klingenden Namen, darunter auch ein halbes Dutzend schlafbringender. Ihre erste Bewegung war, der armen, hübschen Person eine solche Packung in die Hand zu drücken, dann überlegte sie sich, daß kaum einer ihrer Patienten eine so günstige Verbindung zu einem Apotheker offen hatte, und daß die Krankenkasse immer widerwilliger wurde, solche Arzneien herzugeben, bei denen es nicht um Tod und Leben ging. Sie ergriff also ihren Rezeptblock, notierte drei der neueren Schlafmittel untereinander, beendete die Aufzählung mit einem o. drgl. (oder dergleichen) und ermahnte Stine ohne weiteres wiederzukommen, falls ihr Apotheker nicht recht funktioniere. Dann schien es ihr nötig, Frau Teetjen zu fragen, warum denn ihr Mann nicht mehr schlafen könne. »Vor Sorgen«, antwortete Stine und widerstrebend, von all dem Übel zu reden: »Wie kann das bloß zugehen, Frau Doktor, daß die Leute das so schnell herausbekommen haben?« – »Was denn?« – »Na, das mit dem Beil, das wir doch Herrn Direktor zur Hochzeit geschenkt haben, mit den beiden lustigen Fräulein, am Morgen nach Walpurgisnacht, nicht wahr?« Käte Koldewey nahm sich zusammen und sagte: »Ach das. Liebe Frau Teetjen, die Wege des Himmels sind wunderbar. Haben Sie nicht schon mal«, entfuhr es ihr wider Willen, »durch ein rundes Fenster geschaut« – und dann,um ihre doch ganz sinnlos anmutende Rede mit etwas Verstand auszustaffieren –, »das mit roten und blauen Gläsern versetzt war statt mit farblosen, da sieht die Welt ganz anders aus. Ebenso ist’s mit den Gerüchten.« – »Nun sagen Sie aber, Frau Doktor, was ist das mit dem Tod? Jetzt wird doch viel damit angegeben. Daß wir sterben sollen und nicht leben.« – »Darauf kann ich Ihnen nicht viel sagen. Wir Ärzte sind für das Leben da. Die Geburt leichter machen und das Sterben sanfter.« – »Und was danach kommt?« – »Weiß der Herr Pastor. Nicht wir.« – »Aber es wird schon was danach sein. Ganz aus ist’s nie.« – »Ja«, sagte Käte Neumeier oder Koldewey, überwältigt von dem heftigen Ausdruck der Inbrunst und des Glaubens. »Verwandlung ist alles in der Natur. Da wird’s mit den Menschen wohl auch so gehen. Was zusammenstrebte, wird immer enger zusammenwachsen. Was auseinander wollte, wird voneinander fortgerissen werden. Einsam sein in einem eiskalten All – das ist die moderne Hölle.« – »Na«, sagte Stine aufatmend, »da wäre für unsereins ja gesorgt. Die Liebe höret nimmer auf.« – »Außerdem gießen Sie Ihrem armen Mann abends einen Baldriantee auf, Frau Teetjen«, schloß Käte Neumeier die Konsultation, »der ist bestimmt harmlos und kostet nur ein paar Pfennige.« Und sie wunderte sich über den sonderbar verschmitzten Ausdruck von Stines Augen, mit dem diese von ihrem Rezept aufsah: ob dies alles auch bestimmt kein Gift sei? »Nein«, meinte Käte Neumeier und legte ihr abschiednehmend den Arm auf die Schulter, das sei alles kein Veronal, davon könnte man eine ganze Packung verschlucken. »Kein Veronal«, wiederholte Stine, indem sie sich bedankte und fast knickste. Und während Käte Koldewey einen Augenblick betroffen vor sich hinsah, weil sie den Henker Friedel Timmes einen armen Mann genannt hatte, wiederholte Stine, die Treppenstufen herabsteigend,
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