Das Beil von Wandsbek
gemacht hätten. Wie waren die wiederhergestellten Räume aufzuteilen, um sie möglichst vorteilhaft an den Mann zu bringen, und ließ sich bei dieser Gelegenheit nicht die Barfeysche Wohnung räumen, die den Luftschutzvorschriften doch wahrhaftig zuwiderlief? Ein Laden, eine Küche, zwei Zimmer, eine Remise– und Herr Reitlin begann einen Lageplan und Grundriß zu skizzieren, Ausgänge, Fenster, Wasseranlagen zu vermerken, das Klosett in den Mittelpunkt der Erwägungen zu rücken, kurz eine große Zeit heraufzuführen. Alsbald würde er mit einem Zollstock die bewohnbare Grundfläche nachmessen. Es mußte soviel Miete herauskommen, einschließlich der paar Mark von der Waschfrau Barfey, daß das Dachgeschoß aus dem Budget gestrichen werden konnte. Mit ihrem Umzug konnte die Barfey gut bis Mitte September warten, dann waren ihre Klamotten vor der Gefahr plötzlicher Durchnässung geschützt, der man jetzt im August noch immer ausgesetzt war. Plötzlicher Gewitterregen, Sturm, Hagel, Donner und Blitz – die Nordsee war mannigfacher Geschenke fähig, und Lehrer Reitlin ward von allen Fenstern der Wagnerstraße aus jeden Morgen erblickt, wie er in der Mitte des Fahrdamms stand und argwöhnisch den Himmel musterte, seine Wolkenbildungen, und was sie versprachen: ob Kumulus, Stratokumulus, Altokumulus oder Kumulonimbus, der gewittrige ...
Übrigens kam Herrn Reitlin, während er an einem der nächsten Tage das Teetjensche Schaufenster musterte, bis zur Ecke vor- und zurückschreitend, ein glorreicher Gedanke. Im nationalsozialistischen Freidenkerverband hatte Herr Johannes Wolgast, außerdem auch Vorstand der Rutengänger, der einstige Masseur mit der goldenen Brille, die Gründung einer neuen Sektion des NS.-Beerdigungsvereins Volkswohl angeregt und vorbereitet. Die Gefolgschaft würde den Beschluß fassen, sobald ein geeignetes Lokal, Geschäft und Personal zusammengebracht worden sei. Die neue Gründung sollte die Bezirke Eilbeck und Hamm erfassen – aber warum nicht auch Wandsbek? Lag die Wagnerstraße nicht hinreichend günstig für diesen Zweck? Mitglieder würde der Verein hier zusammenkriegen, mehr als genug. Und das Schaufenster des Ladens nebst der Wohnstube eignete sich offenbar hervorragend für die Ausstellung und Aufbewahrung der nötigen Utensilien vom einfachsten bis zum prunkvollsten Begräbnis. Selbst die Blumentöpfe Frau Stines konnten stehenbleiben mit schwarzen und silbernen Streifen versehen. Und in den Anblick des leeren Schaufensters versunken, tupfte sich Herr Reitlin auf die Stirn: konnte es einen geeigneteren und wohlfeilerenVerweser dieser Filiale geben als den Jungen der Geesche Barfey? Es hieß, daß er eine prächtige Handschrift besaß; gescheit war er auf alle Fälle, und bei diesem Zwecke konnte sein körperliches Gebrechen als hindernd nicht in Betracht kommen. Lehrer Reitlin aber hatte die Freude, ihn einzuführen und anzuleiten und sich gleichsam im Ehrenamt des neuen Postens anzunehmen. Dann konnte die freie Wohnung zum Gehalt des Barfey gehören, das Problem des Klosetts war gelöst, die Miete deckte den Ausfall des Dachgeschosses, kurz, alles war in Butter, ohne daß neue Mieter möglicherweise Unfrieden und neue Schwierigkeiten mitbrachten. Ja, das mußte glücken! Sofort wollte Herr Reitlin in die Geschäftsstelle der Nasvog fahren, wo Parteigenosse Wolgast täglich zwischen elf und eins Sprechstunden abhielt. Dann war es vielleicht nicht einmal nötig, die verwohnten Räume gründlich zu reparieren – einiges Auffrischen und Verschönern mit Kalkfarbe und Mauertünche tat es auch.
Herr Reitlin zählte nicht zu den Menschen, die über unfertige, nur in Vorbereitung liegende Veränderungen Mitteilungen umhertragen. So erfuhr Stine nichts von seinen Plänen. Sie war in jenen Tagen emsig beim Verzeichnis all ihrer Habseligkeiten, auch der kleinsten; sie vergaß auch die winzigen Ohrringe nicht, die sie von Kinderzeiten her in den Ohrläppchen trug, kleine, grünblaue Vergißmeinnicht auf fadendünnen Ringlein, die ihr die Großmutter vererbt. Ja, sie lebte aufs tiefste in der Vergangenheit, während sie immer wieder von einem Schrankfach oder einer Schublade zum Tisch trat, um aufs Papier zu kritzeln: drei Obstmesser (Horngriff), drei Obstteller (Weinblatt), eine Kuchengabel (versilbert). Wie das alles gekommen war, was für Veränderungen sich ergeben hatten – sie hatte gar nicht gewußt, was sie alles in sich trug, die Stine Geisow verehelichte Teetjen. Am deutlichsten
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