Das Beil von Wandsbek
gefühlt, wieder zu Bett gelegt; alsbald unzusammenhängende Dinge geredet, erklärt, die Koteletts müßten noch herausgehackt werden, und viel Besorgnis wegen desOchsenschwanzes gezeigt; als aber Dr. Samson, viel zu spät gerufen, mit einer Kampferspritze eingriff, war Meister Teetjen mit seinen mittelgroßen Augen, graumeliertem Blondbart und ausrasiertem Mund schon übern Berg. Ein kräftiger Mann und ein guter Mann, wie Albert nachträglich sah und bereit war zuzugeben. Zu Lebzeiten aber hatte es zwischen Vater und Sohn an Wärme gefehlt – wer wußte warum? Niemand war schuld, oder alle beide; ein barscher Ton gehörte zum Leben, Freundlichkeiten und gegenseitige Anerkennung verkniff man sich. Der andere mußte schon erraten, wie es gemeint war. Im Sand hinter der Buhne lagen Muscheln herum, außen dunkelgrün, innen weiß. Daß ein Sohn und ein Vater nichts miteinander gemein hatten, war ebenso verbreitet. Aber das stimmte nicht. Jetzt, wo Albert auf die Kündigung losging und viele Verhandlungen zu führen sein würden, wurde ihm der Vater immer deutlicher, eigentlich zum erstenmal. Er las die alten Hauptbücher nach, in die jener »Mit Gott« geschrieben hatte, durch einen Kranz von Schnörkeln verziert und umgeben. Die Miets- und Pachtverträge für Wohnung, Laden und Remise aus so entfernten Zeiten wie 1905, als Kaiser Wilhelm II. mit seinem Stehschnurrbart noch den Thron zierte, Hamburg aber seinen eigenen regierenden Bürgermeister Petersen besaß, der sich von Preußen – von Altona – nicht hereinreden ließ. Die Handschrift des Vaters, seine Unterschrift, machten den alten Kram verteufelt lebendig, und den sollte Albert jetzt jämmerlich in Stücke gehen lassen, unter Adolf Hitler, der doch als Messias gekommen war, den kleinen Mann groß zu machen, die ewige Schimpferei und Plackerei in ein breites, behagliches Gedeihen zu verwandeln. Hermann Teetjen, Schlächtermeister, hatte schon über dem gleichen Laden gestanden, von dem bald Albert Teetjen, Schlächtermeister, getilgt wurde. Waren dann alle Rückstände gezahlt, so konnte man das Postscheckkonto auflösen, es war dann noch zwei Mark fünfzig wert. Aber eine ehrliche Bürgersfamilie würde ausziehen aus der Wagnerstraße, ohne Schulden zu hinterlassen und jemanden zu schädigen. So etwas zu denken, tat ja sehr wohl, komisch nur, daß es alle Bewegungen langsamer und langsamer machte, und daß man sehnsüchtig auf den zinkenen Belag der Bierausschanke schaute, an denen manvorüberging, ohne sich ein Seidel Helles leisten zu können. Der Hermann Teetjen, der hätte nicht zu einem Job gegriffen, wie ihn sein Sohn übernehmen mußte; er hätte sich vielmehr umgedreht bei dem Gedanken und geflucht und geschworen, in seinem Deutschland, seinem Hamburg, sei so etwas nicht denkbar. Daß ein ehrsamer Schlächtermeister zu solchen Mitteln greifen mußte, sich und seine Frau über Wasser zu halten – noch dazu vergeblich! Just ein Jahr hatte das Blutgeld vorgehalten, man durfte es nicht anders nennen, und jetzt zog es seine Leute dennoch nach, so sicher, wie dreimal drei gleich neune hieß. Dreimal drei ist neune, du weißt ja wie ich’s meine, summte Albert Teetjen und rieb sich den Sand von den Beinen. Ja, zu Vaters Zeiten hatte es eben keinen Hermann namens Göring gegeben, sondern bloß einen namens Teetjen. Und die Politik war von dem stets lächelnden Herrn von Bülow gedeichselt worden und die Flotte von dem Vollbart Tirpitz und General Keim, dem Mann mit dem Flottenverein. Und was für eine Begeisterung damals Graf Zeppelin entfesselt hatte mit seiner fliegenden Zigarre, dem schönen, silbernen Riesenluftschiff. Bei Echterdingen war es zu Bruch gegangen, aber das ganze Volk hatte fünf Millionen aufgebracht, um es ihm zu ersetzen, und der Obmann des Flottenvereins für Wandsbek hatte sich an die Spitze gestellt und zehn Mark gezeichnet, und wie hieß der? Hermann Teetjen. Solch ein Vorbild konnte nicht vergeblich bleiben, erkannte Albert jetzt. Vaterländisch war Trumpf bei den Teetjens, und warum es ihm in Adolf Hitlers Reiche damit so jämmerlich ausging, das würde der Zeit dieses Lebens kaum verstehen. Na, Stine stellte ihm ja eine zweite, längere Lebensdauer in ihrem Jesuhimmel zur Verfügung. Dann hatte man in den Hallelujapausen mehr Zeit und konnte schließlich den Stammtisch der Familie Teetjen aufsuchen, wo Großvater und Vater bei einer Stampe Himmelsbier über die irdischen Verwicklungen des Sohnes und Enkels zu Gericht saßen,
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