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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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wurde dieses Gefühl entfesselt vor dem Wäscheschrank. Eigentlich fiel ihr bei jedem Handtuch, jeder Serviette, jedem Laken eine Geschichte ein, die sich beim Anschaffen, beim Waschen, beim Mangeln oder Ausbessern dieser Dinge abgespielt hatte. Und besonders deutlich ward ihre Schwiegermutter dabei sichtbar, Alberts Mutter, die geborene Posthorn, die Holsteinerin, von der ihr Mann die Augen und den hübschen Mundgeerbt. Wie still und fein sie sich in den Hintergrund zurückzuziehen wußte, als sie nach Vaters Tode mit dem jungen Ehepaar diese Wohnung hier teilte und ihr Bett dort hatte, wo jetzt das Sofa stand. Daß es gar nicht gegangen wäre, wenn Enkelchen sich gemeldet hätten, die sie trotzdem so herbeiwünschte, ohne es der Schwiegertochter oder dem lieben Gott anzurechnen, daß sie ausblieben. Wie sie ihre Wäsche geschätzt und gestreichelt, von der noch manches solide Stück vorhanden war, reines Leinen, heimisches Erzeugnis, vom Flachs, der auf dem Posthornschen Gütchen gewachsen war, daheim getrocknet, gebrochen, gesponnen und gewoben. So kühl wie in diesem Linnen lag es sich in keinem später gekauften – lumpige Baumwolle, wie die Schwiegermutter tadelnd bemerkte. Stine lachte vor sich hin, während sie die Laken ins Fach zurücklegte – die hatte sich unter Baumwolle etwas Verachtenswertes, Abfallartiges vorgestellt, indes Stine doch aus dem Hafen und vom Kulturfilm her eine Ahnung besaß von der Wichtigkeit, die dieses Produkt für überseeische Länder, die Schiffahrt, die hamburgische Wirtschaft und die deutschen Fabriken inzwischen erlangt hatte. »Da hängt Schweiß von den armen Sklaven dran«, hatte Anna Teetjen manchmal bemerkt, »da will ich gar nichts von wissen.« Zwischen den beiden Türen des Wäscheschrankes hatte sie oft hantiert wie in einem kleinen Zimmer für sich; Stine wünschte sich oft, noch ein kleines Mädel zu sein, auf der herausgezogenen Grundschublade sitzen zu können und ihr die gebügelten Leinen zuzureichen, weiß und duftend, und so solide wie das ganze bescheidene Bürgertum, das es damals noch gab. Als man sie auf dem Wandsbeker Friedhof begrub, in der Nähe des Großvaters, war ganz Alt-Wandsbek mitgegangen, und der junge Pastor Langhammer hatte über den Vers gepredigt: »Euer Herz erschrecke nicht, glaubet an Gott und glaubet an mich. In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen.« Das war ein schöner Sommertag, blau wie heute, auch so schwül. Albert hatte sich gut gehalten, auch ihm wurden die Augen gelegentlich naß, aber sie, Stine, hatte sehr geweint, als man den braunen Sarg in den gelben Sand hinuntersenkte.
    Und das sollte nun die Lehmke haben. Nein, sie sollte es nichthaben. Das schöne Schlafzimmer, Stines Heim und Nest, den Schrank mit den glänzenden braunen Türen. Die Waschkommode mit den Seerosen im Waschbecken und auf dem großen Krug. Und dann noch die Wäsche. Nein und nein und dreimal nein. Nicht zu Stines Lebzeiten. Eine freche Erpressung, ein Raub und Diebstahl. Wäre es möglich gewesen, ohne das Haus in Brand zu stecken, sie hätte lieber am sechsten September ihre Möbel mit Petroleum übergossen und angezündet, statt sie dieser widerlichen Person zu überantworten, nur weil die lieben Kameraden ihren Albert in die Zange hatten nehmen dürfen, um von dem Sündenlohn den Zehnten abzuheben, auf den sie Anspruch erhoben, als wären sie Priester im Tempel, diese Baalspfaffen. Als hätten die Kriegsknechte von Judas Ischariot damals auch den Zehnten verlangt, bevor er hinging und sich erhängte. Aber das taten die nicht. Begnügten sich mit dem ungenähten Leibrock und Mantel, um den sie würfelten. Das selbstgesponnene Leinen von Anna Posthorn her gemahnte Stine an diesen ungenähten Rock, offenbar eine Art Pullover, wahrscheinlich auch aus Leinen, denn Wolle war doch sicher zu heiß im Heiligen Lande. Der Anfang der Sache blieb Stine ja unklar. Wer wen verraten hatte und wie ihr Albert da hineingerutscht war, machte sie sich nicht deutlich, es wäre ihr auch gar nicht gelungen, wie sie sich zugab. Für sie begann die Geschichte mit dem Sündenlohn, dem Blutgeld, und daß sie selbst ihren Albert, den großen, fügsamen Kerl, in diese Bahn gelenkt hatte. Ohne die Möglichkeiten und Folgen dieses Vorhabens auch nur von weitem zu wittern, aber doch sie. Es war eben ein gefährliches Land geworden, das Dritte Reich. Der Herr Propagandaminister hatte es oft mit Stolz aus dem Lautsprecher gerufen, von Lawerentzens war es hinuntergeschallt, am

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