Das Beil von Wandsbek
Flinte – Gewehrstrick nannte man das. Sie wußte nicht mehr ganz genau alle Einzelheiten, die mit seinem Gebrauch verbunden waren. Ob man das Schloß bloß zu öffnen brauchte, oder ob man es herausnehmen mußte, um das Ding durch den Lauf zu ziehen. Schlechte Soldatenfrau war sie inzwischen geworden, und es hieß ja, daß bei den Roten, in Spanien wie in Rußland, die Mädels ebensogut mit der Waffe umzugehen lernten wie mit den Mannsen. Nun, sie, Stine, verstand nur noch das eine. Außerdem aber war sie Hausfrau geworden, eine sparsame, wie dasReich es von ihr verlangte. Hatte sie nicht vornhin ein Restchen Schmierseife gefunden? In einem Büchsendeckel. Damit mußte man doch diesen Strick glatter und geschmeidiger machen können. Und ohne zu wissen, ja ohne nachzudenken, warum und zu wes Ende sie so handelte, klemmte sie die eine Hülse des Gewehrstrickes im Zimmerfenster fest, zog die andere straff – das ganze Ding war sicher länger als ein Meter – und verrieb das Restchen Seife sorgfältig über seine Oberfläche. Ja, so wurde es glatt und weich wie Seide. Und sorgfältig zu einer Art Schnecke zusammengedreht und mit sich selbst umflochten, bewahrte sie den Fund in der obersten Kommodenschublade neben dem Verzeichnis und dem Brief an Else, die sie beide noch ins Reine schreiben mußte. Später dann, am Abend, wenn es kühl war, wollte sie den Brief zu Tom hinaufbringen, als Junge verkleidet wohlverstanden, in dem verwaschenen blaugrauen Overall. Es war schade, daß man nicht mehr zusehen würde, was aus dem Tom Barfey noch wurde. Ein Bursch mit solch einem gesunden Kopf und soviel Verliebtheit – und dazu statt richtiger Beine Kinderschenkel, kümmerliche Würste. Wenn der zu Jahren kam und Kinder kriegte, ob die grade aufwuchsen, rundum richtig ausgebügelt? Die Nazis meinten: nein, aber was wußten die!
Zeit für den Tom hatte sie ja nun. Der Albert kam jeden Tag unregelmäßiger nach Hause. Wie es einem Arbeitslosen zukam, der als solcher nicht gelten wollte. In der ungeheuren und unübersehbaren Weite des Hafens mit Dutzenden von Kränen, Hunderten von Laufbrücken und Kaianlagen, begegnete man ja immer wieder einer Gelegenheit, Hand anzulegen und etwas zu verdienen. Wenn man nur zur Partei gehörte, einen Ausweis oder ein Abzeichen unterm Aufschlag des Rockes bereit hielt, konnte einem niemand so leicht an den Wagen fahren. Aber einen Beruf daraus machen durfte man nicht, wiederkommen nur, wenn man aufgefordert wurde. Der Kampf um die Groschenverdienste war sehr scharf geworden, berichtete Albert, nur selten traf man Arbeitsgelegenheiten, für die sich nicht auch die passenden eingefuchsten »Gelernten« fanden. Zum Glück schrieb man jetzt gerade das Wort Konjunktur groß im Hafen. Wahrscheinlich schluckte Bremen vom Spanien- und Afrikageschäft einen gutenTeil für sich. Aber Hamburg ließ sich nicht an die Wand quetschen.
Stine erzählte Albert nichts von dem Gewehrstrick, noch von den Inflationsbanknoten. Sie wußte warum. Er kam jeden Tag etwas nervöser nach Hause, brummte jähzornig, zum Schimpfen geneigt und bereit, die Faust auf den Tisch donnern zu lassen. Oh, sie verstand recht gut, warum ihn jeder Widerspruch ärgerte, jeder Mäusedreck zum Überkochen brachte, was Anna Teetjen den zu kleinen Teetjenschen Topf genannt hatte. Ein Mann mußte verdienen, seine Frau erhalten, seine Reputation. Und irgendwohin mußte er seinen Kummer und Ärger ja abfahren, abladen. Das war dann eben das Teil der Frau. Sie mußte stillhalten können, sich wehtun lassen, Frau Pastor Langhammer hatte es immer die überlegene Geduld genannt. Nun, sie, Stine, hatte davon allerlei abbekommen. Ein leerer Vorratskeller, ein ebensolcher Kohlenkeller, eine nicht mehr klingelnde Ladenkasse, ein Portemonnaie mit Zufallsmarkstücken als täglichem Umgang und täglicher Aufgabe, das zwickt eine Frau und kostet sie ebenfalls Nerven. Und wenn der Albert dann Krach machte, weil sie schon wieder vergessen hatte, aus Zeitungsseiten Klosettpapier zurechtzuschneiden, mußte sie sich höllisch zusammennehmen, um nicht gegen ihn loszufahren, und dann und wann mißlang es ihr auch. Was hatte er denn so vieles und so Wichtiges zu tun, daß er nicht eines seiner Schlachtmesser nehmen und sich wenigstens am Papier nützlich machen konnte? Bloß weil sie gewohnt war, mit der Schere umzugehen, und weil man Papier eben mit der Schere schnitt und die Messer dazu zu schade waren? Daß sie nicht lachte. Längst war Schmalhans
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